Mit dieser Folge führen wir das in der letzten Ausgabe begonnene Thema fort. Es werden lehrreiche Endspielmotive
präsentiert. Da jedoch die Keimzelle des späteren Endspiels oft im vorangegangenen Mittelspiel oder gar bereits in
der Eröffnung gebildet wird, lassen wir die dem zu behandelnden Endspiel vorangegangenen Züge kurz Revue
passieren.
Die erste Partie stammt aus der diesjährigen Bundesliga, die Pandemie-bedingt ihre Saison 2021-22 erst Anfang März
starten konnte. Dabei kam das eine oder andere Ergebnis nicht unerwartet, für eine Sensation sorgte Amir Rezasade
mit seinem Sieg gegen den nominell viel stärkeren Großmeister Sergej Movsesian. Dabei war nicht nur das Ergebnis
spektakulär, schauen Sie nur, wie der 26-jährige FIDE-Meister den (mit Armenien) mehrfachen Olympiasieger
auspunktete.
Damenbauerspiel D 11
A.Rezasade (Mülheim Nord)
S.Movsesian (OSG Baden-Baden)
Zuschauer mögen sich gewundert haben, warum sich der Großmeister nicht einfach den a-Bauern einverleibt. Schwarz
missfiel möglicherweise 22.…Txa2 23.Lxh6!, wonach 23.…gxh6 24.Sxh6+ Kg7 25.Sxf7 Kxf7 26.Dh7+ Kf8 27.Dh6+ zum
Dauerschach führt. Falls auf 22.Txa2 23.Lxh6 Txb2 geschieht, ergibt 24.d5 Sf6 25.De5 eine wilde Stellung.
Vielleicht zu wild, befand der Profi und setzte anders fort. 22.…Lf8 23.Db1 b5 24.a3 Db7 25.h4 Sb6 26.Dc1 Sd5
27.Ld2 Tac8 28.Te5 Se7 29.Lxh6 f5 30.Lxg7 Lxg7 31.Sh6+ Kh7 32.Txe6 Sg8 33.Txe8 Lxh6 34.Te3 Lxe3 35.Dxe3 De4 36.Dd2
Te8 37.d5 Sf6 38.d6 Sd7 39.Da5 Df3 40.Te1
Es bahnt sich eine Punkteteilung an: 40.…Te5! 41.Txe5 Sxe5 42.Da7+ Kg6 43.De7 Dd1+ 44.Kh2 Df3 mit Zugwiederholung
oder Dauerschach nach 45.Dxe5 Dxf2+. Dies wäre keine schlechte Entwicklung gewesen, doch der Favorit wollte mehr:
40.…Txe1+ 41.Dxe1 De4 42.Dxe4! fxe4 43.Kf1 Kg6 44.Ke2 Kf5 45.Ke3 Ke5 46.g4 Sf6 47.f4+ exf3 48.Kxf3 Kxd6 49.g5 Sd5
50.h5 Ke6 51.h6 Kf7 52.Ke4 c3 53.bxc3 Sxc3+ 54.Kf5 Sd5 55.g6+ Kg8 56.Ke6 Sf4+ 57.Kf5 Sd5 58.Ke5.
Auch diese Stellung war noch remis, am einfachsten nach 58.…Se3 59.Kf6 Sg4+ 60.Kg5 Sf2 61.Kf5 Kf8 62.Ke6 Sg4
63.h7 Kg7 64.Kd5 Sf2 65.Kc5 usw. Doch es kam anders: 58.…b4? Schwarz überzieht und läuft in einen
unglaublichen Konter.59.axb4 Sxb4
60.Ke6!! Die unglaubliche Königspointe. 60.…Kf8 scheitert an 61.h7 Kg7 62.h8D+ Kxh8 63.Kf7+– 60.…Sd3
Nach 60.…Sc6 geht der König mit 61.Kf6+– in die sogenannte Karpow-Distanz und es ist aus, man sehe 61.…Sd8 62.h7+
Kh8 63.Ke7 Sc6+ 64.Kf8 nebst g7+ oder 61.…Kh8 62.h7 Sd8 63.Ke7 Sc6+ 64.Kf8. 61.Kf6 Kh8 Und nun nicht 62.g7+?
Kh7 remis, sondern 62.h7! und wegen 62.…Sf4 63.g7+ Kxh7 64.Kf7 Sh5 65.g8D+ Kh6 66.Dg6 matt – 1:0
Mit einem überraschenden Matt-Abschluss endete auch eine andere Partie am gleichen Bundesligawochenende.
Italienisch C 54
D.Gavrilescu (Turm Kiel)
N.Coenen (Aachener SV)
Der Angriff auf g7 hätte unbedingt mit 26.…g6! beantwortet werden müssen. Danach hält Schwarz remis, z.B. 27.Sf6+
Kf8 28.h5 cxd4 29.hxg6 hxg6 30.Txg6 Ke7 31.Sg8+ Txg8 32.Txg8 dxe3 33.T8g7 c5 34.Txf7+ Kxf7 35.b3 Ke6 36.Kc2 c4
37.bxc4 dxc4 38.Tg4 Kxe5 39.Txc4 remis.
26.…cxd4? war verfehlt: Der weiße Angriff schlägt mehr oder weniger direkt durch. 27.Txg7+
27.e6! Te7 28.Txg7+ Txg7 29.Txg7+ Kh8 30.Tf7+– nebst Sf6 war sogar noch besser. 27.…Txg7 28.Txg7+
28.…Kf8?! 28.…Kh8 war weit zäher, hilft aber auf lange Sicht auch nicht: 29.Te7 Tc8 30.exd4 h6
(30.…Lxd4?! läuft in 31.Sf6+–) 31.Kc2 Tc7 32.Te8+ Kh7 33.Kd3 +– 29.e6 Wie aus dem Nichts taucht
ein Mattnetz auf… 29.…Ld8 30.Txh7 Kg8 31.e7 dxe3 31.…Kxh7 32.e8D+–32.Sf6 matt – 1:0
Auch unsere letzte Partie wurde in der Bundesliga gespielt, und zwar zwischen zwei „altgedienten Recken“.
Am Brett sahen wir Robert Kempinski (Jahrgang 1977) und Alexander Berelowitsch (1967).
Holländisch A 84
R.Kempinski (Hamburger SK)
A.Berelowitsch (Düsseldorfer SK)
Bis hierhin verlief die Partie recht ruhig. Der Springerabtausch auf c5 hätte eine remisträchtige Stellung
hervorgebracht, z.B. 32.Sxc5 dxc5 33.Dxc5 De5+ 34.Kh1 Dg3 35.Dc1 Lxh3 36.Le4+ Lf5 37.Lxf5+ Txf5 38.Txb7 h3 39.Dc6+
Tf6 40.De8+ mit Dauerschach.
In der Partie tauschte Weiß die Damen und musste in der Folge gegen einen übermächtigen Springer ankämpfen.
Der schwarze „Monsterkrake“ sollte den Gewinn garantieren, aber leicht ist es nicht: 51.Ta5?! Das verliert direkt
den Bauern b6. Schwarz steht wegen seines schwarzfeldrigen Powerplays vermutlich ohnehin auf Gewinn wie
folgende Computervarianten zeigen: 51.Tb2 Sc5
51.…Tb4 Nun fällt die weiße Stellung in sich zusammen. 52.Ta8 Sf6 53.Tc8 Txb6 54.Tc7 Sxd5
55.Lxd5 Kxd5
Das Turmendspiel ist wegen des starken Freibauern auf der b-Linie für Weiß verloren. 56.Txe7 56.Ke2 e5
57.Kf3 e4+ 58.Kg4 Tb2 59.Kxg5 Txg2+ 60.Kxh4 b5 –+ 56.…Tb2 57.Kg1 57.Tg7 b5 58.Txg5+ kann sogar mit
58.…Ke4 –+ beantwortet werden. 57.…b5 58.Tg7 b4 Schwarz ist nun im Rennen viel zu schnell:
59.Txg5+ Kc4 60.Tg4+ Kc3 61.Txh4 b3 62.Th8 Te2 63.Tc8+ Kd3 64.Tb8 b2 65.Kh2 65.Kf1 Tc2 66.Tb3+
Ke4 67.h4 Tc1+ 68.Kf2 b1D 69.Txb1 Txb1–+ 65.…Kc2 66.Tc8+ Kd1 67.Tb8 Kc1 68.h4 Nichts ändert
68.Tc8+ Tc2 69.Tf8 b1D 70.Tf1+ Kb2 71.Txb1+ Kxb1 72.Kg3 Kc1 73.h4 Kd2 74.Kf4 Kd3 75.g4 Tf2+ 76.Kg3
Kxe3 –+ 68.…b1D 69.Txb1+ Kxb1 70.h5 d5 71.h6 Txe3 72.g4 d4 73.h7 Te8 74.g5 d3 75.g6 d2 76.g7 d1D 77.g8D
In der vierten Partiephase gewinnt in aller Regel die Seite, die das erste Schach geben kann bzw. die Seite
mit dem sichereren König und hier liegt keine Ausnahme vor: 77.…Te2+ 78.Kh3 Df1+ 79.Kh4 Df4+ – 0:1
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Teil 143 der Schachschule 64 kann
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eine oder andere Diagramm und hin und wieder weiterer erklärender Text die jeweilige Folge ergänzen.
Zu der nachstehend abgebildeten Stellung kam es am im Januar beim Open in Gibraltar zwischen zwei Spielern der
Weltklasse. Weiß hat einen Bauern mehr, kann aber die Punkteteilung – zu der es mehrere Wege gibt – nicht verhindern:
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