Sonderform des klassischen Läuferopfers auf h7: Stellungen mit dem schwarzen König auf g6 (Teil 2)
Dem klassischen Läuferopfer auf h7 werden in der Literatur ganze Kapitel gewidmet, wobei dort hauptsächlich der
schwarze König auf g8 im Fokus steht. Was jedoch nach der Königsflucht nach g6 geschieht, dazu findet sich nicht
viel. Als Abhilfe war eine Folge der Schachschule 64 in der letzten Ausgabe gedacht, hier folgt die versprochene
Fortsetzung.
Wie bereits in der letzten Folge hervorgehoben, werden für das klassische Läuferopfer auf h7 immer drei Figuren
gebraucht:
Ein Läufer, der geopfert wird. Er darf auf verschiedenen Feldern der Diagonale b1-h7 stehen, am häufigsten sieht man
ihn auf d3.
Ein Springer, der nachzieht und mit einem Schachgebot auf g5 landet. Auch hier ist das Ausgangsfeld nicht
vorgeschrieben, in der Regel handelt es sich jedoch um das Feld f3.
Die Dame, die das Angriffstrio komplettiert und für den "Vollzug" sorgt. Sie muss auf jeden Fall sehr schnell dem
gegnerischen König auf den Pelz rücken können, was nicht unbedingt sofort mit einem Schachgebot verbunden sein muss.
Ein Beispiel:
Damenbauerspiel D 02
P. Kucera - K. Volke
Juniorenturnier Decin 1979
Die Flucht "nach hinten" geht hier nicht gut. 15. …Kg8? 16. Dh5 Tfe8 würde nur nach 17. Dh7+ Kf8 18. Dh8+ Ke7 19.
Dxg7 Kd8 funktionieren, hier ist der schwarze König von seinen "Nachbarn" geschützt. Aber das wichtige Motiv des
Zwischenzugs 17. b4! bereitet dem Nachziehenden Kopfzerbrechen:
Analysediagramm
Schwarz steht vor einer schwierigen Entscheidung:
a) 17. …Ld6 scheitert an 18. Lxd6 Dxd6 19. Dxf7+ Kh8 20. Dh5+ Kg8 21. Dh7+ Kf8 22. Dh8+ Ke7 23. Dxg7+ Kd8 24. Sf7+
mit Damengewinn.
b) Nach 17. …Lb6 versperrt 18. Ld6! dem schwarzen König die Fluchtroute via e7.
c) Schwarz kommt nicht umhin, er muss 17. …e5 ziehen, was wenigstens den unmittelbaren Verlust vermeidet, schön ist
die schwarze Stellung nach 18. Dh7+ Kf8 19. bxc5 exf4 20. exf4 Ke7 21. Dxg7 Kd8 22. Sh7 gewiss nicht.
Also Finger weg von …Kg8, Augen zu und durch: 15. …Kg6 16. Dg4 17. Dg3 Kf6 18. Dh4 Le7 19. Sh7+ Kf7 20. Dh5+ Kg8
21. Sxf8 Lxf8 und die schwarzen Mitstreiter schützten den König ausreichend: 22. Tfd1 Sa5 23. Lg5 Df7
24. De2 Dg6 25. f4 Sc4 26. b3 Sd6 27. h4 Se4 28. Tac1 Sd6 29. h5 Df7 30. Tc2 Tc8 31. Kh2 Se4 32. Td3 a5 33. g4 La6
34. gxf5 Dxf5 – 0:1
Kehren wir noch einmal zurück zu der Stellung nach dem 15. Zug von Schwarz, denn da versteckt sich eine Kombination,
die in einer praktischen Partie sehr erschrecken kann: Nach 15. …Kg6 16. Se4 ist der Springer tabu, weil die schwarze
Dame im Moment ungedeckt ist 16. …Le7 17. Sf6!!
Die Idee ist Dg4+ und Matt im nächsten Zug. 17. …Lxf6 verbietet sich wegen 18. Dd3+ Kh5 19. Dh7 matt und falls 17.
…Kxf6, so 18. Dg4 und der König droht zu ersticken, oder die ungedeckte Stellung der Dame rächt sich. Aber 17. …gxf6!
18. Dg4+ Kh7 19. Dh5+ Kg8 endet remis durch Dauerschach, das Weiß unbedingt geben muss, denn 20. Lh6? verliert nach
20. …f5 oder auch nach 20. …Se5.
Nun, hier war der Königsausflug nach g6 gar nicht so schlecht. Das dies schon mal vorkommt, darauf wurde auch schon
in der letzten Ausgabe hingewiesen. Man soll sich natürlich vor dem Läuferopfer auf h7 immer vorsehen, aber nicht dem
Glauben verfallen, auf h7 reinzuhauen bedeute automatisch den Sieg. Es kommt immer auf die konkrete Stellung an. Hat
der nach g6 geflüchtete König einige Getreue um sich versammelt, so kann er die gegnerische Treibjagd eventuell
überleben. Mit zu wenigen Freunden an der Seite wird's schwieriger:
Caro-Kann B 17
S. Djuric (YUG, 2495)
D. Kumaran (IND, 2230)
Der Damenzug nach h3 ist raffiniert. Gedacht war es so: 18. …Th8 19. Dg4, gefolgt von einem kraftvollen Abzug des
Springers g5, der nicht gut zu verhindern ist, auf 19. …f5? folgt ja einfach 20. Txe6 matt und auf 19. …Kf6 wiederum
20. Txe6+ fxe6 21. Dxe6 matt. Deshalb spielte Schwarz 18. …Lxh2+ 19. Kf1 Lf4 denn hier ist 20. Dg4 harmlos
wegen 20. …Lxg5 21. Dxg5+ Kh7, und der König versteckt sich. Um das zu verhindern, geschah 20. Dh7+ Kf6 21. Dh4
Th8 22. Se4+ Kf5 23. Sg3+ Kg6 23. …Lxg3?? 24. Dg5 matt. 24. Dg4+ Kh7 25. Lxf4
Nach dem ganzen taktischen Krawall ist die Materialbilanz, kaum zu glauben, wieder ausgeglichen. Die schwarze Dame
hätte sich nach e7 zurückziehen sollen. Schwarz hat jedoch etwas übersehen, setzte mit 25. …Dc6? 26. d5 exd5 fort und
verlor nach 27. Sf5 g6 27. …Df6 28. Le5; 27. …Dg6 28. Dh3+ Kg8 29. Se7+ 28. Se7 Df6 29. Le5 1:0
Russisch C 42
F. Olafsson - R. Persitz
Hastings 1956
Wahrscheinlich versteckt sich hier der schwarze König besser auf g8. Es ist anzunehmen, dass der Nachziehende 17.
…Kg8 18. Sde6 befürchtete und dabei den Konter 18. …Sf3+! 19. gxf3 Sxe3 20. Dd3 Tf5!! übersah.
17. …Kg6 18. Dc2+ Lf5 19. Sxf5 Sxe3 20. fxe3? Nach dem besseren Zug 20. Sxe3+! Kxg5 21. Dh7 hätte Weiß
zufrieden sein können. 20. …Kxg5 21.h4+ Kh5 22. Sxg7+ Kh6 23. Sf5+ Txf5 24. Dxf5 Dxe3+ 25. Kh1 Dg3 26. Df4+ Dxf4
27. Txf4 mit unklarem Spiel und im 52.Zug remis
Sizilianisch B 48
D. Pikula - D. Rajkovic
Lazarevac Open 1999
Dies ist eine wichtige Stellung. Mit einem Springer auf c6 ist das Läuferopfer auf h7 nicht korrekt, z. B. 15. …a6
16. Lxh7+? Kxh7 17. Sg5+ Kg6
Analysediagramm
Der Anziehende hat schlechte Karten, z. B. 18. Dg4 Sxe5 19. Dg3 f6 20. Sxe6+ Kf7 oder 18. Dd3+ f5 19. Dg3 (19. exf6+
Kxg5) 19. …axb5, und Weiß geht langsam die Munition aus.
Mit einem Springer auf b4 verhält es sich anders: 15. …Sb4 16. Lxh7+! Kxh7 17. Sg5+ Kg6 18. Dg4 f5 19. Dxb4
Das ist der Witz. Weiß hat sich die Figur zurückgeholt und besitzt sogar einen Bauern mehr bei besserer Stellung.
19. …Th8 19. …Kxg5 20. Dxf8 20. f4 a5 21. Db3 a4 22. Db4 La6 23. Sd4 Lxf1 24. Txf1 Sc7 25. Tf3 Th4
26. De1 Tg4 27. Tg3 Txg5 28. Txg5+ Kf7 29. Dh4 Tg8 30. Dh7 Kf8 31. h4 De7 32. c3 a3 33. b4 g6 34. Dh6+ Ke8 35. h5
Kd7 36. Txg6 Txg6 37. Dxg6 Dh4 38. g3 – 1:0
Schachschule 64 als PDF
Teil 108 der Schachschule 64 kann
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als PDF-Datei heruntergeladen werden. Die Printausgabe unterscheidet sich etwas von der Online-Version, bei der das
eine oder andere Diagramm und hin und wieder weiterer erklärender Text die jeweilige Folge ergänzen.
Zu der nachstehend abgebildeten Stellung kam es am im Januar beim Open in Gibraltar zwischen zwei Spielern der
Weltklasse. Weiß hat einen Bauern mehr, kann aber die Punkteteilung – zu der es mehrere Wege gibt – nicht verhindern:
Jahrgangsschuber
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