Über die Kraft des weit vorgerückten Freibauern und die konkrete Umsetzung der sich ergebenden Möglichkeiten
Das seit der Antike bekannte Belagerungsgerät Rammbock dient im Schach als Gleichnis für den Durchbruch eines Bauern
durch gegnerische Reihen. Und so wie beim historischen Vorbild dient er dem Zweck, Platz für die nachstürmenden
Mitstreiter zu schaffen. Im Gegensatz zur Kriegswaffe jedoch, die nach dem erfolgreichen Einsatz beiseitegelegt
wurde, darf der Rammbock im Schach – so er nur weit genug vorrückt – mit seiner Beförderung (Umwandlung zur Dame)
selbst die Belohnung einstreichen. Auch findet seine Heldentat manchmal Eingang in die Schachliteratur, so wie es bei
der Entscheidungspartie der Frauenschacholympiade 2008 in Dresden der Fall war.
Damenindisch E 12
M.Tschiburdanidze (GEO, 2489)
A.Maric (SRB, 2405)
1.d4 e6 2.c4 Sf6 3.Sf3 b6 4.a3 Lb7 5.Sc3 d5 6.cxd5 Sxd5 7.Dc2 Sxc3 8.bxc3 Le7 9.e4 0-0 10.Ld3 c5 11.0-0 Dc8
12.De2 La6 13.Td1 Lxd3 14.Txd3 cxd4 15.cxd4 Sd7 16.h4 Dc7 17.Lg5 Lxg5 18.hxg5 Tac8 19.g3 Dc2 20.De3 Tc7 21.Tad1
Tfc8 22.Se5 Nun war 22.…Sxe5 23.dxe5 unumgänglich, wonach Weiß die d-Linie beherrscht, entschieden ist jedoch
noch nichts. Mit dem Partiezug 22.…Db2? überlässt die Nachziehende ihrer Gegnerin den schrecklichen
„Rammbock“ auf d5, mit dessen Hilfe in wenigen Zügen die schwarze Stellung zum Einsturz gebracht wird.
23.Sxd7 Txd7 24.d5 exd5 25.exd5
43.De7! So ziemlich in jeder Publikation erhielt dieser Zug zwei Ausrufezeichen als Zeichen eines großartigen
Zuges. So schwer ist diese Kombination zwar nicht zu finden, gefällig ist dieser Zug dennoch und vor allem hat der
damit verbundene Gewinn dem Team der Siegerin die Goldmedaille eingebracht, und so wurde er unwidersprochen zum
„Zug der Olympiade“ hochstilisiert. Die eine Pointe sehen wir nach 43.…Txe7 44.dxe7 nebst Td8 und Matt, die andere
nach der Partiefortsetzung 43.…Dd8 44.Dxd8+! Txd8 45.d7 und die Nachziehende gab die Partie zu Recht auf. 1:0
Es droht Tc3-c8. Wichtig ist, dass Schwarz nach z.B. 45.…b5 46.Tc3 den Bauern d7 nicht schlagen kann, es käme Tc8+
und Matt. Dass die namhafte Schwarzspielerin vor der Aufgabe doch einige Minuten überlegte, lag sicherlich daran,
dass sie folgende Variante prüfte: 45.d7 h6 Schafft dem König ein Fluchtfeld auf h7, so dass 46.Tc3? wegen
…Txd7 vorläufig nicht geht. 46.gxh6 g5 Weiß gewinnt nach 46.…Kh7 47.g5 b5, und nun z.B.
48.Te3 Txd7 49.Te7. 47.Ke3 Kh7 48.Ke4 Kxh6 49.Ke5 Kg6 50.Kd6 Kxf6 51.Tf3+ Kg7 52.Ke7 mit leichtem Sieg.
Die einleitende Partie deutet auch grob an, wie Rammböcke entstehen. Nach dem Eröffnungszug 1.e4 ist dies eher selten
der Fall. Den Boden bereitet eine Aufstellung aus den geschlossenen Spielen mit den Bauern auf d4 und c4, Schwarz
reagiert meist mit Bauernzügen nach e6 und d5. Dann kommt es darauf an, ob Schwarz weiter das Zentrum geschlossen
hält oder es öffnet (oder öffnen lässt). Erzwingen kann man das Entstehen von Rammböcken nicht, da wirkt der Gegner
mit seiner Eröffnungswahl mit, auch kommt es darauf an, wie sich das Mittelspiel gestaltet. So ist beispielsweise in
selbst nur teilweise blockierten Stellungen die Bildung eines Freibauern, der weit genug vorpreschen könnte,
schwierig bis unmöglich.
Dennoch kommen Stellungen mit einem Rammbock in der Praxis nicht selten vor. Und dann ist es von großem Vorteil zu
wissen, was man mit diesem mächtigen Werkzeug anstellen kann. Diesem Zweck ist dieser und der darauffolgende Teil
unserer Trainingsserie gewidmet.
Ein bei Belagerungen eingesetzter Rammbock bestand meist aus zwei fest verbundenen Teilen, einem langen Holzstamm und
einem vorn angesetzten Kopf meist aus Metall. Bei einem Schach-Rammbock sind die beiden Teile, ein vorgerückter Bauer
vorn und eine Schwerfigur dahinter, sozusagen in der Luft mit einer Wirkungslinie verbunden. Die kann gelegentlich
vom Verteidiger unterbrochen werden, manchmal erfolgreich, manchmal nicht, da muss man schon genau hinschauen.
Genau hingeschaut hat anno 1991 bei einem spanischen Turnier Silvio Danailov. Der Bulgare ist eher als
Schachfunktionär (zeitweise Präsident der Europäischen Schachunion) bekannt, aber er ist auch ein Meisterspieler.
Réti-Eröffnung A 13
S.Danailov (BUL, 2475)
J.Fernandez (ESP, 2315)
Mit seinem letzten Zug …Se4-d6 wich Schwarz der Drohung Sd2xe4 aus und unterbrach die d-Linie. Er hätte damit Erfolg
gehabt im Falle von 21.f3 Lxd7, aber 21.Se4! öffnet die d-Linie und stellt den Rammbock vollständig her. Zwar kostete
die Aktion nach 21.…Sxe4 22.Lxe4 Lxd1 23.Txd1 die Qualität, aber der Stolz der weißen Stellung, der Bauer d7, blieb
auf dem Brett und wird obendrein von dem prächtig stehenden weißen Läuferpaar unterstützt. Weiß setzte sich schnell
durch: 23.…b6 24.Dxa7 Es droht Lxb6. 24.…Tb8 25.Lb7! mit klarem Endspielvorteil nach dem kommenden Lxb6 und d8D.
Schwarz spielte noch 25.…De6, offensichtlich mit der Idee …Lg7-f6:
Doch nach 26.Dxb8! war alles vorbei – 1:0
Im Falle von 26.…Txb8 27.d8D+ bringt der Rammbock den Sieg. Zwar verschwindet die neugeborene Dame gleich vom Brett,
27.…Txd8, aber nach 28.Txd8+ Lf8 29.Lh6 De7 30.Txf8+ Dxf8 31.Lxf8 behält Weiß im Endspiel einen Läufer mehr.
Die Sperrung einer „Rammbocklinie“ kommt selten vor. Der Regelfall ist eine Stellung mit blankgeputzter Linie,
auf der ein Turm den Freibauern unterstützt. Doch die Gegenseite verteidigt das vor dem Rammbock befindliche
Umwandlungsfeld mit Zähnen und Klauen. In dieser und der nächsten Trainingseinheit der SCHACHSCHULE 64 zeigen wir
Methoden auf, die zum Erfolg führen können. Zunächst zwei Standardwendungen:
I.Csom – A.Eriksson
Budapest 1994
Weiß am Zug
28.De8 Df6 29.Te1! nebst Te7, was die Diagonale h4-d8 sperrt. Der Turm d8 verliert die Deckung durch die
Dame f6 – 1:0
B.Züger – F.Gobet
Genf 1988
Weiß am Zug
40.Dc2 Der universal anwendbare Gewinnweg. 40.…De7 40.…Kg7 41.Txd8 Dxd8 42.Dc8 Df6 43.d8D mit Gewinn,
weil Schwarz kein Dauerschach hat: 43.…Da1+ 44.Kh2 De5+ 45.g3 Dh5+ 46.Kg2 usw 41.Txd8+ nebst Dc8 – 1:0
In den weiteren Beispielen kontrolliert der Verteidiger das Umwandlungsfeld vor dem Rammbock, aber die stärkere Seite
dringt über das benachbarte „Grundstück“ ein.
P.Cramling – V.Malisauskas
Keres Memorial, Kalev 1997
Weiß am Zug
30.Tc8 Lf6 Schwarz hofft auf die Blockade …Ld8 nebst evtl. …Kg7-f6-e6, aber 31.Te8! verhindert dies – 1:0
Schwarz gab auf, weil er seine Hilflosigkeit erkannte. Er hat nur ein paar Bauernzüge am Königsflügel, wahlweise kann
er auch mit seinem König auf den Feldern g7 und g8 pendeln, in beiden Fällen jedoch läuft der weiße König bis nach
c8, dann folgt Txf8 nebst d8D.
W.Kramnik – J.Timman
Nowgorod 1995
Weiß am Zug
Schwarz hat das Umwandlungsfeld d8 gleich dreimal unter Kontrolle genommen, mit d7-d8 wird’s nichts. So geht es
aber: 27.Te1! Der Läufer e7 ist angegriffen und muss ziehen. Schwarz verwarf 27.…Lf6 wegen 28.Ld5 b5 29.Te8
mit der Idee 29.…Tbxe8 30.dxe8D Txe8 31.Lxf7+. Und nach 29.…b4 entscheidet 30.Tc7!, gefolgt von Tcc8. Man beachte,
was der Rammbock d7 leistet: er ermöglicht beiden Türmen einzudringen! 27.…Ld8 28.Te8 b5 28.…Lf6 29.Ta8 +–.
29.Ta8 Txa8 30.Lxa8 b4 31.Ld5 Kg7 32.Kf1 Nun wurde das ganze Ausmaß der Katastrophe deutlich. Analog der
vorher gezeigten Partie entscheidet der gemächliche Königsmarsch nach b7. – 1:0
Schachschule 64 als PDF
Teil 94 der Schachschule 64 kann
hier
als PDF-Datei heruntergeladen werden. Die Printausgabe unterscheidet sich etwas von der Online-Version, bei der das
eine oder andere Diagramm und hin und wieder weiterer erklärender Text die jeweilige Folge ergänzen.
Zu der nachstehend abgebildeten Stellung kam es am im Januar beim Open in Gibraltar zwischen zwei Spielern der
Weltklasse. Weiß hat einen Bauern mehr, kann aber die Punkteteilung – zu der es mehrere Wege gibt – nicht verhindern:
Jahrgangsschuber
Der Preis pro Stück für 12 Ausgaben – inklusive Porto und Schutz-Verpackung beträgt € 14,90 Bestellungen bitte unter Tel.: (0421) 36 90 325