Diese Rubrik ist - wie auch alle anderen in dieser Zeitschrift - als ein Ratgeber konzipiert, nicht als ein
Forschungsvorhaben. Für exotische Stellungen sind Spezialwerke zuständig. Hier werden ausschließlich häufig
vorkommende Spielsituation besprochen, solche, die Sie bei Vereinsturnieren, Mannschaftskämpfen und offenen
Turnieren mit einiger Wahrscheinlichkeit aufs Brett bekommen können. Der praktische Nutzen steht im Vordergrund.
Mit Endspielen Turm gegen einen Bauern haben wir uns bereits beschäftigt. Bei zwei verbundenen Bauern gegen einen
Turm kommt es sehr darauf an, wo der Turm steht: hinter den gegnerischen Bauern, vor ihnen oder seitlich von ihnen
und auch die Stellung der Könige ist von großer Bedeutung.
In der Folge 37 haben wir nur die aus der Sicht der Turmseite ideale Stellung im Kampf Turm gegen zwei verbundene
Bauern vorgestellt:
Weiß am Zug gewinnt
Ein fürchterlicher Fehler wäre 1. Td5??, denn dann würden die schwarzen Bauern entscheiden: 1. …c2 2. Tc5 d3 3. Kg3
d2! 4. Txc2 d1D.
Der richtige Zug 1. Tc5! nimmt den vorn stehenden Bauern an die kurze Leine, dies ist eine Faustregel für das
Spiel von Turm gegen zwei verbundene Freibauern. Weiß gewinnt dann leicht mit der klassischen Abfangmethode
1. …Kg6 2. Tc4! Kf5 3. Txd4 c2 4. Tc4.
In diesem Beispiel standen beide Könige weit von den Bauern entfernt. Hätte der König der Bauernseite nah bei seinen
Bauern gestanden, wäre die Stellung zu halten gewesen.
Befindet sich auch der König der Turmseite näher dran, führt dies zum Gewinn:
Nun zu einer konkreten Handhabung dieser Motive in der Praxis:
S. Tarrasch – D. Janowski
Ostende 1907
Stellung nach 78. Ke2-e3
Wie die Karten gemischt sind, dürfte leicht zu erraten sein. Früher oder später wird Weiß seinen Turm gegen den weit
vorgerückten Freibauern hergeben müssen. Dann kämpft der schwarze Turm gegen zwei verbundene weiße Freibauern. Es
stellt sich nur die Frage, ob diese Bauern dann mit der Unterstützung des Königs durchbrechen oder nicht.
Schwarz muss jetzt die richtige Entscheidung treffen. Wie leitet er am besten die Bauernumwandlung auf b1 ein, mit
der Hilfe des Königs (…Kc2) oder des Turms?
Variante 1
78. …Kc2 ist ein giftiger Zug, es droht ein taktischer Trick, der sich nach 79. g5 Ta3+ 80. Kf4? Tb3 offenbart;
dann ist der Bauer b2 nicht mehr zu stoppen. Es gibt aber ein Heilmittel, nach 79. g5 Ta3+ rückt der weiße
König näher heran: 80. Ke2! Tb3 81. Tc7+
Schwarz muss sich auf die Zugwiederholung 81. …Tc3 82. Tb7 Tb3 einlassen, denn 81. …Kb1? verstellt den eigenen
Freibauern und verliert noch nach z. B. 82. f6 Ka2 83. Ta7+ Ta3 84. Txa3+ Kxa3 85. f7 b1D 86. f8D+ Ka2 87. Da8+ Kb3
88. Db8+ Ka2 89. Dxb1+ Kxb1 90. g6 usw.
Gut, damit ist klar, dass in der Ausgangsstellung 78. …Kc2 in Ordnung war. Prüfen wir nun die Alternative.
Variante 2
78. …Ta1. Weiß kann dann mit 79. Tc7+ Kb3 80. Tb7+ usw. gleich remisieren, aber vielleicht will er gewinnen
und vermeidet die Remisschaukel. Was ist dann stärker, der Turm oder die zwei Freibauern, das Hauptthema dieser
Trainingsfolge?
Weiß muss natürlich seinen Bauern vorrücken 79. f6 b1D 80. Txb1 Txb1
Hier ist der König der Bauernseite nahe bei seinen Getreuen, so dass die Bauern nicht so leicht abgefangen werden
können. Der weiße König schließt sich bald dem Bauernduo an, und alle drei gemeinsam werden mit der schwarzen Figur
fertig. Dies gilt für beide denkbare Varianten:
und aufgepasst; das hat zwar jetzt nichts mit unserem eigentlichen Thema zu tun, soll uns aber nicht daran hindern,
auf einen oft vorkommenden Fehler aufmerksam zu machen: 90. …Ke6? verliert nach 91. Kg7 Ke5 92. g5; 90. …Ke5!
remisiert jedoch, da der König den Bauern gleich erwischt.
b) (siehe vorletztes Diagramm) 81. g5 Tf1 82. Ke4 Kc4 83. Ke5 Kc5 remisiert ebenfalls, wobei in beiden Fälle
(sowohl nach Ke5-e6, als auch nach g5-g6) der Zug …Te1+ unerlässlich ist, damit der schwarze König das Feld d6
bekommt und sich der weißen Truppe nähern kann: 84. Ke6 Te1+ 85. Kf7 Kd6, und Remis in den Standardstellungen
nach
b1) 86. Kg7 Ke6 87. f7 Tf1 88. g6 Ke7 89. Kg8 Tf6 90. Kh7
b2) 86. g6 Tg1 87. g7 Ke5 88. Ke7 Tg6
Dies sind die bekannten "Zwillingsstellungen" in dem Endspiel Turm gegen zwei Bauern, die man sich einprägen sollte.
Im Ernstfall spart man damit viel Rechenarbeit. In beiden Stellungen verschwindet bald das gesamte Material vom
Brett.
Variante 3 (= Partie)
Wie wir gesehen haben, soll der Turm analog dem ersten Beispiel stets von hinten die gegnerischen Bauern angreifen
und sie damit im Zaum halten. In der historischen Partie geschah jedoch 78. …Ta4? Schwarz will tricksen (…Tb4
spielen und den Bauern durchbringen), verschafft jedoch damit dem Gegner eine Gewinnchance: 79. Txb2 Kxb2 80. f6
Spätestens hier wird deutlich, dass der Turm auf die Grundreihe gehört hätte. Von a4 aus kann der nicht auf die
f-Linie ziehen, das Feld f4 ist ja unzugänglich. Und es droht f6-f7, was z. B. nach 80. …Kc3 81. f7 Ta8 82. g5 Kc4
83. g6 Kd5 84. g7 entscheidet.
80. …Ta1 81. g5 Tf1 82. Kd4 Kb3 Nach 82. …Tf5 83. Ke4! Txg5 84. f7 ist der Bauer "durch". 83. Ke5
Studienkomponisten wie Maiselis haben zwar nachgewiesen, dass Weiß mit dem Manöver Kd5-e6 noch einen Tick schneller
gewonnen hätte, aber das ist hier eher eine akademische Frage. Der Praktiker freut sich über den Sieg, der mit der
Partiefortsetzung ebenso sicher erreicht wird. 83. …Kc4 84. g6 Te1+
Zum letzten Mal in dieser Partie wird das Parkett glatt. Ausrutschen kann man hier mit 85. Kf5?, was die Aktivierung
des schwarzen Königs ermöglicht: 85. …Kd5 86. g7 (86. f7 Tf1+ 87. Kg5 Ke6) 86. …Tf1+ 87. Kg6 Tg1+ 88. Kf7 Ke5 89. Ke7
Tg6 und Remis wie bereits aufgezeigt.
Weiß spielte richtig 85. Kd6! und hindert damit den schwarzen Kollegen an der Annäherung …Kd5-e6.
85. …Td1+ 86. Ke6 Te1+ 87. Kf7 – 1:0
Am Ende triumphierte nicht die Turm- sondern die Bauernseite: 87. …Kd5 88. g7 Tg1 89. g8D Txg8 90. Kxg8 Ke6 91. f7.
Schachschule 64 als PDF
Teil 83 der Schachschule 64 kann
hier
als PDF-Datei heruntergeladen werden. Die Printausgabe unterscheidet sich etwas von der Online-Version, bei der das
eine oder andere Diagramm und hin und wieder weiterer erklärender Text die jeweilige Folge ergänzen.
Zu der nachstehend abgebildeten Stellung kam es am im Januar beim Open in Gibraltar zwischen zwei Spielern der
Weltklasse. Weiß hat einen Bauern mehr, kann aber die Punkteteilung – zu der es mehrere Wege gibt – nicht verhindern:
Jahrgangsschuber
Der Preis pro Stück für 12 Ausgaben – inklusive Porto und Schutz-Verpackung beträgt € 14,90 Bestellungen bitte unter Tel.: (0421) 36 90 325