In dieser Folge widmen wir uns dem häufig vorkommenden Endspiel Turm gegen einen Bauern. Auf der Werteskala von
Schachfiguren ist der Turm mit fünf Bauerneinheiten hoch positioniert, doch das Material ist nur eine der drei Säulen
des Schachspiels; die Zeit und der Raum spielen ebenfalls eine große Rolle. Und so kann es vorkommen, dass ein Bauer
plus König (der Monarch ist ja immer da!) sogar dem Gespann König plus Turm den Garaus macht. Das berühmteste
Beispiel zu diesem Thema entstand vor rund 120 Jahren:
Studie Barbier und Saavedra
"Weekly Citizen", Glasgow 1895
Weiß am Zug gewinnt
Es beginnt naheliegend mit 1. c7 Td6+ 2. Kb5 Aber nicht 2. Kc5 Td1,
gefolgt von einem Schachgebot auf c1, und auch nicht 2. Kb7 wegen …Td7;
in beiden Fällen wird der Turm gleich gegen den Bauern eingetauscht mit
remis. 2. …Td5+ 3. Kb4 Td4+ 4. Kb3 Td3+ 5. Kc2! Die Bauernumwandlung
auf c8 ist nicht mehr zu verhindern. Dennoch ist nach 5. …Td4 der
Einsatz der grauen Zellen gefordert,
denn das automatische 6. c8D? endet nach 6. …Tc4+! 7. Dxc4 mit einem Patt. Die feine Lösung lautet 6. c8T!!
Jetzt funktioniert die soeben gezeigte Idee nicht, 6. …Tc4+ 7. Txc4 ergibt kein Patt. Weiß droht aber Ta8+ und Matt
und falls Schwarz 6. …Ta4 zieht, so entscheidet 7. Kb3 mit der Doppeldrohung Tc1 matt und Kxa4.
Die Stellung der beiden Könige erwies sich als entscheidend, der rein rechnerische Vorteil von vier Bauerneinheiten
half dem Nachziehenden nicht.
Dies war ein Sonderfall, in der Regel kommen im Kampf von Turm gegen einen (einzigen) Bauern keine so spektakulären
Varianten vor, was nicht heißen soll, man könne solche Endspiele mit links gewinnen bzw. remis halten.
Weiß am Zug
Gelingt es Schwarz, sein Bauer-König-Gespann nach vorn zu bringen, wird er sich retten, das ist klar. Kann Weiß
dieses Vorhaben verhindern? Ja, aber keineswegs mit jedem beliebigen Zug.
1. Td1 sieht eigentlich ganz vernünftig aus, der Turm zieht sich weit zurück, damit er nach den erwarteten Zügen …d4,
…Ke4, …d3, …Ke3 und …Ke2 möglichst spät angegriffen wird. Doch Schwarz muss nicht wie skizziert gleich vorrücken, er
spielt besser 1. …d4 2. Kd7 (Im Falle von 2. Kf7 ist das Vorrücken schon angesagt: 2. …Ke4 3. Ke6 d3 nebst …Ke3-e2.)
2. …Kd5! 3. Kc7 Kc5 mit Abdrängen des gegnerischen Königs.
1. Td2! ist besser (möglich ist auch 1. Td3 mit dem gleichen Plan). Die Gewinnidee, die man sich einprägen
sollte, lautet 1. …d4 (Einfach ist …Ke4 2. Kd6 d4 3. Kc5 d3 4. Kc4 mit Bauerngewinn.) 2. Td1! Die Pointe!
Jetzt kann der Bauer nicht weiter vor und nach 2. …Ke4 3. Kd6 d3 4. Kc5 Ke3 5. Kc4 d2 6. Kc3 schnappt sich Weiß
den Bauern.
Weiß am Zug
Die Anzahl der Partien, in denen dieses Standardendspiel zum Remis verdaddelt wurde, sind Legion. So führt 1. Kd3?
zum Remis nach 1. …g3 2. Tf8+ Ke1! 3. Ke3 (3. Tg8 Kf2 4. Tf8+ Ke1!) 3. …g2 4. Tg8 Kf1 mit Zugwiederholung.
Weiß kann nur mit dem lehrreichen Manöver 1. Tf8+! Ke2 2. Tg8! Kf3 3. Kd3 gewinnen. Im Vergleich zu der obigen
Variante steht hier der schwarze König nicht auf f2 (von wo er das Feld e1 erreichen kann), sondern auf f3, so dass
er nach 3. …g3 4. Tf8+ seinen Freibauern verstellen muss: 4. …Kg2 Der Rest ist dann schon einfach:
5. Ke2 Kg1 Oder …Kh1 6. Kf3 g2 7. Th8+ Kg1 8. Tg8. 6. Tg8 Kg2 7. Tg7 (oder auch Tg6, Tg5, Tg4) 7. …Kh2 8. Kf3
mit Bauerngewinn.
Häufig besteht der einzige Gewinnweg in einer Sperre auf der fünften (bzw. auf der vierten) Reihe. Ein klassisches
Beispiel:
Weiß am Zug
Ein Königsmarsch führt nicht zum Ziel, der Weg ist zu lang: 1. Kh7 a4 2. Kg6 a3 3. Kf5 Kb5 (3. …a2?? 4. Tg1 Ka5 5.
Ta1) 4. Ta7 Kb4 5. Ke4 Kb3 6. Kd3 Kb2! (Aber nicht …a2? 7. Tb7+ Ka4 8. Kc2, und Ta7+ entscheidet.) 7. Tb7+ Kc1, und
die Bauernseite rettet sich ähnlich dem vorherigen Beispiel.
Zum Ziel führt das Motiv der waagerechten Sperre auf der fünften Reihe: 1. Tg5! a4 2. Kg7 und Weiß gewinnt
mit dem Königsmarsch zum gegnerischen Bauern. Durch die waagerechte Sperre auf der fünften Reihe riss der Kontakt
zwischen dem König und dem Bauern und kann nicht wiederhergestellt werden. Und falls irgendwann der Bauer zieht
2. …a3, so gewinnt 3. Tg3 a2 4. Ta3+.
Das folgende Diagramm zeigt eine ähnliche Stellung, jedoch ist dieses Mal Schwarz am Zug.
Schwarz am Zug
Dieser Umstand ermöglicht es dem Verteidiger, die Sperre auf der fünften Reihe zu durchbrechen, jedoch nur auf eine
Art und Weise:
Nicht zum Ziel führen:
a) 1. …a5? wegen 2. Th5 mit eine "ewigen Sperre" wie soeben dargelegt;
b) 1. …Kb5?, was dem König der Turmseite mehr Raum überlässt, wie nach den weiteren Zügen 2. Kf7 a5 3. Ke6 Kb4 4. Kd5
a4 5. Kd4 ersichtlich: 5. …Kb3 6. Kd3 a3 7. Tb8+ Ka2 8. Kc2 Ka1 9. Tb1+ Ka2 10. Tb3 Ka1 11. Txa3 matt.
Durch den unglücklichen ersten Zug wurde der schwarze König in der Folge an den Rand gedrängt und mattgesetzt.
Der richtige Weg beginnt mit 1. …Kc5! 2. Kf7 a5 3. Ke6 a4 und das Abdrängen mit Kd5 ist nicht sofort möglich,
Weiß muss erst einen Turmzug machen, z. B. 4. Ta8 4. Tb8+ treibt den schwarze König nach vorne, wo er sowieso
hin will. 4. …Kb4 5. Kd5 Kb3 6. Kd4 a3 7. Kd3 Kb2 8. Tb8+ Kc1! – remis
In diesem Stellungstypus kommt es oft vor, dass sich die Könige den Raum streitig machen und nur das Aufeinanderzubewegen zum Ziel führt.
A. Aljechin - E. Bogoljubow
WM-Match 1929
Schwarz am Zug
Schwarz hatte zwar die richtige Idee - den Turm herzugeben und dann mit König und Bauern vorzurücken -, doch er
wählte die falsche Route: 70. …Kg4?? 71. b7 f5 72. b8D Txb8 73. Txb8 f4 74. Kd5 f3 75. Ke4 f2 76. Tf8 Kg3 77. Ke3 -
1:0.
Gerettet hätte sich der Nachziehende, wenn er den gegnerischen König auf Distanz gehalten hätte:
70. …Ke4! 71. b7 f5 72. b8D Txb8 73. Txb8 f4 74. Te8+ Kd3 Hier kann sich der weiße König nicht so schnell
nähern, das schwarze Gespann bricht durch: 75. Tf8 Ke3 76. Kd5 f3 77. Te8+ Kd2 78. Ke4 f2 79. Tf8 Ke1
und Weiß muss bald den Turm hergeben.
Nachtrag zur letzten Folge
In der Schachschule Nr. 80 stand die spektakuläre Kombination, gespielt bei der Weltmeisterschaft in New York im
Mittelpunkt. Zunächst zur Orientierung:
Unsere tschechischen Kollegen informierten uns über einen historischen Fund. 1917 erschien in der Prager Zeitschrift
"Svetozor" eine Schachecke mit der folgenden Aufgabe (im Original mit der weißen Dame auf f1, das wurde später in De2
korrigiert):
Matt in drei Zügen
Die Lösung ist 1. Db5! droht 2. Le3 nebst Lxb6+ matt 1. …Txg5 1. …a5 2. Te6 und Dxb6 matt; 1. …axb5
2. Te1 und nach einem beliebigen Antwortzug folgt Ta1 matt. 2. Dxa6+! Kxa6 2. …bxa6 3. Txe7 matt. 3. Ta8 matt.
Die Parallelen zu den in der letzten Ausgabe aufgeführten Variationen des Carlsen-Motivs sind unübersehbar, allein
spielt sich hier alles am Damenflügel ab. Als Autor der Aufgabe wird "Otto Würzburg, 1897", angegeben. Es handelt
sich wohl um den deutschstämmigen US-Amerikaner Otto Wurzburg (1875-1951), der sich bis etwa 1908 selbst Würzburg
schrieb.
Schachschule 64 als PDF
Teil 81 der Schachschule 64 kann
hier
als PDF-Datei heruntergeladen werden. Die Printausgabe unterscheidet sich etwas von der Online-Version, bei der das
eine oder andere Diagramm und hin und wieder weiterer erklärender Text die jeweilige Folge ergänzen.
Zu der nachstehend abgebildeten Stellung kam es am im Januar beim Open in Gibraltar zwischen zwei Spielern der
Weltklasse. Weiß hat einen Bauern mehr, kann aber die Punkteteilung – zu der es mehrere Wege gibt – nicht verhindern:
Jahrgangsschuber
Der Preis pro Stück für 12 Ausgaben – inklusive Porto und Schutz-Verpackung beträgt € 14,90 Bestellungen bitte unter Tel.: (0421) 36 90 325