Der König prescht vor … und bringt Kummer und Sorgen. | Fünf „Warnschilder“, gesammelt bei aktuellen Turnieren
Aktive Züge assoziiert man unwillkürlich mit Zügen nach vorn, in Richtung der gegnerischen Hälfte. Auf die meisten
Figuren trifft das auch zu, auch das sich Auf-den-Weg-machen des Königs hat sich schon oft ausgezahlt, insbesondere
in Endspielen, dennoch ist bei der wertvollsten Figur noch mehr Vorsicht als sonst geboten. Deshalb haben wir auch
für die Überschrift das Wort Vorpreschen verwendet; es wird im Duden im Zusammenhang mit Erfolg oder Scheitern
erwähnt. Erfolgreiche Königsmärsche wurden bereits in einer früheren Folge der SCHACHULE 64 behandelt; hier stehen
warnende Beispiele im Mittelpunkt. Das erste stammt aus einer Partie, die bei der Schacholympiade in Baku gespielt
wurde.
S. Sulskis (LTU, 2519)
D. Blagojevic (MNE, 2482)
Weiß am Zug
Damenendspiele mit gleicher Bauernzahl enden oft remis per Dauerschach, weil es dem König der einen oder der anderen
Seite nicht gelang, den Schachgeboten zu entgehen. Auch in der vorliegenden Stellung schien die Punktteilung eine
ausgemachte Sache zu sein, es geschah 46. Dh3+ Kg6 Hier kann der König völlig gefahrlos nach vorn ziehen, Weiß
hat einige Schachgebote, mehr aber nicht. 47. Dg4+ Kf7 48. Dd7+ Kg6 Die Stellung ist remis, doch der
Weißspieler spannte noch das letzte Fangeisen auf. Er hatte bemerkt, dass sein Gegner nach Schachgeboten seinen König
bevorzugt nach vorn zieht (zu Beginn hätte er ja statt …Kg6 genauso gut …Kg8 spielen können) und so versuchte er
49. g4!? Dxc3 50. De8+ Kh7 Natürlich nicht 50. …Kh6?? 51. Dh5 matt. 51. Dxe4+
Notwendig war nun ein Königszug auf die achte Reihe, 51. …Kg8 (oder auch …Kh8), denn falls 52. Dxb7 Dd4, holt sich
Schwarz auf g4 oder auf b4 den Bauern zurück und remisiert. Doch Schwarz spielte 51. …Kh6?? und träumte
vielleicht von der Aktivierung des Königs via g5. Aber nach 52. Dh1+! musste er entgeistert feststellen, dass
sein vorgepreschter König mattgesetzt wird: 52. …Kg6 53. Dh5 matt; 52. …Kg5 53. Dh5+ Kf4 54. Df5 matt. Also – 1:0
Das nächste Beispiel stammt aus dem Nana Aleksandria Cup, einem "Mix-Turnier". Es wird zu Ehren einer besonders
erfolgreichen Spielerin aus Georgien ausgetragen, die auch schon einmal die Nr. 2 der Weltrangliste war. Andere
Länder, andere Sitten: zu Ehren der Deutschen Sonja Graf, die in den dreißiger Jahren des 20. Jh. die zweitbeste
Spielerin der Welt war, wird in Grafs Geburtsland kein Turnier ausgetragen. So viel Zeit für einen kleinen Seufzer
muss sein, der Redakteur beeilt sich schon, zum eigentlichen Thema zurückzukommen:
N. Mammadova (2198)
N. Naghdiyev (2336)
Weiß am Zug
Schon wieder ein Damenendspiel, diesmal mit ungleicher Bauernzahl, dennoch mit stark remislicher Tendenz, denn
Schwarz wird in der Folge seinen Mehrbauern kaum verwerten können, z. B. 55. Kf1 Dd4 56. Dg3+ Kh6 57. Dg8 e4 58. Df8+
Kg5 59. Dg8+ Kf4 60. fxe4 fxe4 61. Df8+ mit vielen Schachgeboten. Doch die Anziehende wollte verhindern, dass der
gegnerische König bis nach f4 vordringt und zog ihren nach vorn 55. Kg3?? - ins Verderben. 55. …Dg1!
droht 56. …f4+ mit Damengewinn oder Matt nach 57. Kh3 Dh1+. Nach dem unglücklichen Königszug nach g3 war das Kind
bereits in den Brunnen gefallen, 56. Dh2 half auch nicht, wegen 56. …f4+ 57. Kh3 Df2 Verhindert
58. Dh1 wegen …Dg3 matt. 58. g3 Dxh2+ 59. Kxh2 fxg3+ 60. Kxg3 Kf5 – 0:1- Der Rest ist einfach: 61. Kf2 Kf4
62. Kg2 h4 usw.
Auch im nächsten Beispiel war nach einem Schachgebot die Flucht des Königs nach vorne falsch. Nebenbei lernen wir in
dieser im Sommer 2016 in Barcelona gespielten Partie eine tolle Verteidigungsstellung kennen.
S. Jayakumaar (IND, 2151)
K. Meneses (ESP, 2379)
Weiß am Zug
Auch hier muss sich Weiß nach dem Schachgebot entscheiden, wohin er mit seinem König zieht. Der Partiezug
49. Ke3? ist falsch, dennoch irgendwie verständlich; Weiß hatte Angst, dass sein König nach 49. Kg1! Kf3
eingeklemmt wird, doch gerade diese Stellung ist remis. Man muss jedoch die richtige Aufstellung kennen, die nach
50. h3!! entsteht:
Analysediagramm. Eine Stellung, die man sich merken sollte: König, Bauer und Läufer
bilden eine Barriere, die der gegnerische König nicht passieren kann.
Diese rettende Auffangstellung sollte man kennen. Die weiße Figuren teilen sich die Aufgaben: der König bewacht das
Feld g2, der Läufer g3 und der Bauer g4. Dies ähnelt einem unüberwindlichen Zaun, der den schwarzen König stets auf
Abstand hält. Der schwarze Turm kann allein nichts ausrichten, nur unfruchtbare Schachgebote geben (der weiße König
pendelt dann, je nachdem welches Feld gerade frei ist, zwischen h2 und g1) und die Verfolgung des Läufers bringt auch
nichts, nach …Td2 folgt Lc7 (oder Lb8 oder Le5), jedenfalls bleibt der Läufer auf der Diagonale h2-b8. Und wenn
Schwarz auf die Idee kommt, seinen König via e4, f5 und g5 nach h4 zu überführen, wird er mit Lg3 aufgehalten. Danach
braucht Weiß nur noch mit seinem König zu ziehen - remis.
Zu seinem Schaden kannte der Weißspieler diese wichtige Verteidigungsstellung nicht, zog wie erwähnt den König nach
vorne, und wurde nach …h5-h4 nach und nach abgedrängt, bis die Partie endgültig verloren war.
O. Bronstein – P. Zisman
Israel 2016
Stellung nach 68. Tg8+
In der Stellung oben hatte der schwarze König nach dem Schachgebot Tg8+ nur drei legale Züge. Nach f5 zu ziehen ist
offensichtlich falsch, da nach 69. …Kf5? 70. f7 sofort f8D+ droht; wir erwähnen diese Variante nur wegen des Motivs
70. …Ke5 71. f8D Txf8, und nun nicht
Analysediagramm
a1) 72. Kxf8? wegen 72. …Kf4 73. Th8 Kg4 74. Ke7 h4 75. Ke6 h3 76. Ke5 Kg3 77. Ke4 h2, und Schwarz remisiert, sondern
a2) 72. Txf8!, was den schwarzen König von seinem Bauern trennt und mit dem folgenden Th8 ebendiesen Bauern gewinnt.
Zur Wahl stehen somit nur zwei Königszüge: nach hinten (…Kh6) und nach vorne (…Kh4). Eine kurze Analyse zeigt, dass
69. …Kh6! richtig ist, weil der eigene Freibauer wirklich frei wird, man sehe 70. f7 h4 71. f8D+ Txf8 72. Kxf8 Kh5
73. Kf7 h3 74. Kf6 Kh4 75. Kf5 h2 76. Kf4 Kh3! und Remis.
In der Partie zog Schwarz den König nach vorne 69. …Kh4?? und bremste damit seinen Bauern aus. Es geschah
70. f7 Kh3 71. Tg6 Es ging auch sofort 71. f8D. Mit Tg6 droht Weiß mit dem Zug Tf6. 71. …Txf7+ 72. Kxf7 h4
Mit dem weißen König auf f8, e7 oder ähnlich, jedenfalls weiter hinten, wäre das Endspiel remis, weil der schwarze
König nach vier Zügen (…Kh2, …h3, …Kh1 und …h2) entweder patt gesetzt wird oder - wenn der weiße Turm von der g-Linie
verschwindet - auf die g-Linie zieht und seinen Freibauern laufen lässt. In der vorliegenden Stellung jedoch gewinnt
Weiß mit dem Standardmanöver 73. Kf6 Kh2 74. Kf5 h3 75. Kf4! – 1:0
wegen 75. …Kh1 76. Kg3 h2 (…Kg1 77. Kxh3+) 77. Ta6 (oder Te6, Td6 usw.) nebst Ta1 matt.
In den vorangegangenen Beispielen war ein Schachgebot im Spiel, ein König musste ja ziehen. Man kann aber auch ohne
Zwang einen schlechten Königszug fabrizieren, wie das letzte Beispiel zeigen. Die Partie stammt aus dem ZMDI Open
Dresden im Sommer dieses Jahres und hatte für den Ausgang eine enorme Bedeutung. Der geschenkte halbe Punkt erwies
sich für den Turniersieg des Venezolaners Eduardo Iturrizaga ausschlaggebend.
A. Heimann (GER, 2588)
E. Iturrizaga (VEN, 2624)
Weiß am Zug
Der Anziehende steht besser, muss sich aber in Geduld üben und erst nach einer Vorbereitung (eine Idee ist
Kc3-b3-a4-b5) evtl. einen Durchbruch c4-c5 wagen. Weiß wollte jedoch sofort c4-c5 durchsetzen, zog 55. Kd4? und
verbaute damit dem eigenen Läufer den Rückzug, der daraufhin mit 55. …Se8 gefangen wurde. Es folgte noch
56. Le5 dxe5+ 57. fxe5 Sg7 58. c5 bxc5+ 59. bxc5 c6 60. e6 Sd8 61. g4 cxd5 62. gxh5 Sxh5 63. c6 Sf6 – 0:1
Dieser Beitrag ist nicht als eine Mahnung zu verstehen, bloß nicht den eigenen König von der Leine zu lassen. In der
Regel ist der aktive Einsatz des Monarchen sinnvoll, will aber dennoch wohl überlegt sein.
Schachschule 64 als PDF
Teil 77 der Schachschule 64 kann
hier
als PDF-Datei heruntergeladen werden. Die Printausgabe unterscheidet sich etwas von der Online-Version, bei der das
eine oder andere Diagramm und hin und wieder weiterer erklärender Text die jeweilige Folge ergänzen.
Zu der nachstehend abgebildeten Stellung kam es am im Januar beim Open in Gibraltar zwischen zwei Spielern der
Weltklasse. Weiß hat einen Bauern mehr, kann aber die Punkteteilung – zu der es mehrere Wege gibt – nicht verhindern:
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