Auch diese Folge ist dem Schachtraining mit dem Ziel der Verbesserung der schachlichen Fähigkeiten gewidmet, jedoch
auf eine etwas andere Art. Wir lassen eine Reihe von teils kuriosen Fehlentscheidungen Revue passieren, nicht um uns
darüber lustig zu machen, sondern um den Ursachen dieser Fehler auf den Grund zu gehen.
Felderfarben beachten
Bei einem Spaziergang läuft man auf dem Fußweg und kaspert nicht auf der Fahrbahn herum. Genauso sollte man sich
vorsehen, wenn der Gegner nur noch einen Läufer hat - auf dessen Felderfarbe sollte man nicht ohne Not
herumspazieren. Hier ein ganz krasses Beispiel:
I. Scott – A. Rehman Qureshi
Schacholympiade Istanbul 2012
Weiß am Zug
Ausgestattet mit zwei Mehrbauern wollte Weiß die Damen tauschen, fiel aber mit 48. Dd5?? fürchterlich herein:
48.…Lc6! Er hatte die Stellung seines Königs und seiner Dame auf der Farbe des gegnerischen Läufers nicht
beachtet. 0:1
Das war natürlich ein extremes Beispiel, den Läuferzug nach c6 hätte man schon sehen müssen. Weniger offensichtlich
war der Reinfall im Beispiel Nr. 2, die Ursache für das Fallen aus allen Wolken war jedoch die gleiche: das
sträfliche Tummeln auf der Farbe des gegnerischen Läufers.
M. Narciso – J. Timman
Barcelona 2006
Schwarz am Zug
Schwarz beschloss, völlig zu Recht, den Bauern a4 aufs Korn zu nehmen und mit dem Turm anzugreifen. Er hätte das
jedoch besser mit …Ta3 getan, da stünde der Turm auf einem schwarzen Feld. Er spielte jedoch 38. …Tc4? und übersah
dabei den taktischen Trick 39. Lh5+! Kh6 40. Lf7! 1:0
Der Läufer greift den Turm c4 an und gewinnt ihn auch, weil Schwarz sich vorrangig um die Mattdrohung Ta5-h5 kümmern
muss.
Schwächung der Diagonale
Artverwandt mit dem obigen Beispiel ist das nächste. Auf einer Diagonale sorgte diesmal nicht ein Läufer, sondern
eine Dame für Ungemach.
M. Adams – M. Gurevich
Schacholympiade Turin 2006
Schwarz am Zug
Der Nachziehende wollte gerne seinen Turm a8 ins Spiel bringen, doch etwa 27. …Tc8 hätte 28. Txa7 zur Folge. Er
wollte das Problem mit 27. …b6? lösen, wonach der Turm e7 den Schutz des Bauern a7 übernimmt. Der Zug …b6 öffnete
jedoch die Diagonale a8-h1 und ermöglichte 28. Sxd5! mit Qualitätsgewinn nach 28. …exd5 (Oder 28. …Dxe5 29. Sxe7+
Sxe7 30. dxe5) 29. Dxd5+ nebst 30. Dxa8+. 1:0
Im nächsten Beispiel bleibt die "Sünde" ungestraft.
A. Greenfeld – C. Daly
Offene Irische Meisterschaft 2008
Weiß am Zug
Der Läufer b7 bedroht latent den Bauern e4, auch die dahinterstehende Dame f3 sollte sich vorsehen, es könnte mal so
etwas wie …f5 kommen. Weiß erleichterte seinem Gegner die Aufgabe mit dem Partiezug 37. dxc5? wonach Schwarz mit
…De5+, gefolgt von …Lxe4 und Doppelangriff auf Dame und Turm auf c2 die Qualität gewonnen hätte. Allerdings hatte
Weiß - der seinen Fehler sofort bemerkte - geschickt reagiert und dem Verlustzug 37. dxc5 ein Remisangebot
hinterhergeschickt und er hatte damit Erfolg remis
Der Schwarzspieler hatte vor seinem Gegner (es war ein Großmeister) viel Respekt und willigte erfreut ins Remis ein;
hätte er sich bloß etwas Zeit genommen…
Schwäche der Grundreihe
Ist die eigene Grundreihe geschwächt, sprich hat der dort stehende König keine Fluchtmöglichkeit, sollte das rote
Alarmlämpchen umgehend blinken. Beispiele für Strafen bei Missachtung dieser Faustregel sind Legion.
D. Mastrovasilis – I. Georgiadis>
Athen 2006
Schwarz am Zug
Die weiße Mehrfigur ist mehr wert als die beiden gegnerischen Bauern, der Anziehende kann sich aber noch lange nicht
zurücklehnen, da sein König kein "Luftloch" hat und somit latent mattgefährdet ist. Dieses Problem war umgehend zu
lösen, am besten mit 43. Lg5! (droht Dd7+) 43. …Tf7 44. Sb4 Sxb4 45. cxb4 und gleich noch a2-a3 mit weißer
Gewinnstellung.
Doch Weiß wollte das Problem taktisch lösen, spielte 43. Txd5? und rechnete nur mit 43. …Tf1+ 44. Td1, doch Schwarz
nutzte die Schwäche der gegnerischen Grundreihe mit 43. …Dxd5! und da 44. Dxd5 an 44. …Tf1+ nebst Matt scheitert, gab
Weiß auf 0:1
Den einleitenden Zug vergessen
Dieses Phänomen ist oft zu beobachten. Man berechnet eine womöglich kurze taktische Variante, ist mit dem Ergebnis
zufrieden und legt los, jedoch mit dem zweiten (oder einem späteren) Zug der Kombi, den ersten, einleitenden Zug
hatte man irgendwie abgehakt …
S. Reshevsky – R. Byrne
USA-Meisterschaft 1973
Weiß am Zug
In der Diagrammstellung steht Weiß auf Gewinn. Reshevsky entdeckte die Kombination 39. Te7 (drohend 40. Txg7 Txg7 41.
Df8+ Tg8 42. Le5+) 39. …Db2 (39. …h6 40. Te6) 40. Txg7 Txg7 (40. …Dxg7 41. Le5) 41. Db8+ Tg8 42. Le5+, war zufrieden
und legte los: 39. Le5?? Auweia! Weiß hatte vergessen den einleitenden Zug Te7 auszuführen. Mit sofort Le5 geht es
nicht, Schwarz startet erfolgreich einen Gegenangriff: 39. …Dxg2+! 40. Kxg2 Lxe5+ 0:1
Das Phänomen des Auslassens des ersten Zuges einer Kombination ist bekannt. Exweltmeister Botwinnik empfahl
seinerzeit, erst den Zug zu notieren, dann nochmals zu schauen und erst dann zu ziehen. Das ist allerdings nicht bei
allen Turnieren erlaubt.
Die Qual der Wahl
Manchmal steht ein Spieler vor der Entscheidung, welches von zwei möglichen Figurenschlagen er wählen soll oder
wählen darf. Hat der gegnerische König kaum noch freie Felder, erhöht sich dabei die Gefahr des Patt-Setzens.
B. Schnabel – M. Prilleltensky
Berlin 2015
Weiß am Zug
Weiß hat die Partie gut gespielt und konnte drei Mehrbauern einheimsen, zum Schluss war noch ein Figurengewinn
möglich, allerdings nur mit 43. Lxf8, ggf. in der Form 43. Sf7+ Kh7 und erst dann 44. Lxf8 oder 44. Dxf8. Der
Partiezug 43. Dxf8?? verschenkte den Sieg: 43. …Dh1+! 44. Kxh1 patt remis
Wer anderen eine Grube gräbt …
Zum Schluss noch ein amüsantes Beispiel, auf das die bekannte Redewendung zutrifft.
A. Stefanova – L. Mkrtchian
Krasnoturinsk 2006
Weiß am Zug
Der Turm d3 ist angegriffen, hätte jedoch mit Df5 einfach gedeckt werden können. Die frühere Weltmeisterin aus
Bulgarien trickste mit 36. Ke1? und hatte dabei 36. …Txd3 37. Tf8+ Txf8 38. Dxf8+ Kh7 39. Df5+ g6 40. Dxd3 mit
Gewinnchancen im Sinn, doch der Schuss ging nach hinten los. 36.…e2! 37. Lxe2 Dxd3
mit entscheidendem Materialgewinn: 38. Dg4 Dd1+ 39. Kf2 Txe2+ 0:1
Hier endet die Besichtigung der "Unfallstrecke", der Autor hofft, es hat Ihnen Spaß gemacht.
Schachschule 64 als PDF
Teil 72 der Schachschule 64 kann
hier
als PDF-Datei heruntergeladen werden. Die Printausgabe unterscheidet sich etwas von der Online-Version, bei der das
eine oder andere Diagramm und hin und wieder weiterer erklärender Text die jeweilige Folge ergänzen.
Zu der nachstehend abgebildeten Stellung kam es am im Januar beim Open in Gibraltar zwischen zwei Spielern der
Weltklasse. Weiß hat einen Bauern mehr, kann aber die Punkteteilung – zu der es mehrere Wege gibt – nicht verhindern:
Jahrgangsschuber
Der Preis pro Stück für 12 Ausgaben – inklusive Porto und Schutz-Verpackung beträgt € 14,90 Bestellungen bitte unter Tel.: (0421) 36 90 325