Ein wirkungsvolles taktisches Instrument wird näher betrachtet
Zu den beeindruckendsten Beispielen des Zusammenspiels von Figuren gehören zwei Türme derselben Partei auf einer
Reihe oder auf einer Linie. Diese "verdoppelten" Türme können eine große Kraft entfalten. Um die verdoppelten Türme
auf der vorletzten Reihe oder auch in anderen Konstellationen wirksam werden zu lassen, wird oft sogar Material
geopfert, ein bis zwei Bauern sind die "Supertürme" in der Regel wert.
In dieser Folge richten wir unser Augenmerk auf zwei Fragen:
Wie ist die Turmverdoppelung herbeizuführen?
Wie kommen die Türme auf den freien Reihen und Linien zur Geltung?
Dabei stammen alle Beispiele aus dem Mittelspiel oder dem Endspiel, nicht aus der Eröffnung. Üblich (bzw. möglich)
ist es, dass ein Turm erst nach der Rochade ins Spiel kommt. Um ihn dann aktiv werden zu lassen, muss die Stellung
geöffnet werden, was bedeutet, die Bauernstruktur muss einen Durchlass bieten.
Die Turmverdopplung kann nur selten ganz bequem - ohne gegnerische Gegenwehr - erreicht werden. Meist kommen
taktische Hilfsmittel zum Einsatz. Wie so etwas ablaufen kann, sehen wir beispielsweise in einer Partie des vierten
Schachweltmeisters:
Damengambit D 64
A. Aljechin - F. Yates
London 1922
Der Turm f6 geht verloren, da der Rückzug 38. …Tff8 (oder auch 38. …Taf8) die standardmäßige Mattsetzung 39. Th7+ Kg8
40. Tcg7 zur Folge hat. Dieses Mattbild zieht sich wie ein roter Faden durch alle Stellungen diesen Typus (die Türme
sind auf der vorletzten Reihe verdoppelt, der gegnerische König steht auf der letzten Reihe) und wird durch das
Verstellen des Feldes f8 bedingt. Stünde der Turm woanders, etwa auf e8, so hätte Weiß zwar das Dauerschach in der
Tasche, aber nicht mehr.
In einer anderen Partie Aljechins verdoppelten sich die Türme mit entscheidender Wirkung auf der achten Reihe.
Damengambit D 07
A. Aljechin - E. Colle
Paris 1925
"Auf den ersten Blick sieht es aus, als habe Schwarz den gefährlichen Freibauern auf d5 neutralisiert, außerdem gibt
es keinen offensichtlichen Weg, wie Weiß von der schwachen schwarzen Grundreihe profitieren könnte", schreibt Garry
Kasparow in der Megabase 2005. 29. Lxg6! Das sieht ziemlich eigenartig aus, da der d-Bauer nicht mehr verteidigt
werden kann. Aber Aljechin benutzt diesen Zug, um seinen strategischen Plan mit taktischen Nuancen zu unterstützen
29. …hxg6? Das kleinere Übel war 29. …fxg6, obwohl Weiß auch dann mit 30. De6+ Tf7 31. Tc8 Txc8 32. Dxc8+ Tf8 33. Te8
Df6 34. Txf8+ Dxf8 35. Dc6 einen Vorteil (starker Freibauer auf der d-Linie) behauptet hätte. Nach dem Partiezug
jedoch dringen die weißen Türme auf die schwarze Grundreihe ein.
30. Dxd7!! Txd7 31. Te8+ Kh7 32. Tcc8 die Mattdrohung Th8 ist nicht gut abzuwehren, nach 32. …Td8 33. Texd8
gab Schwarz auf. – 1:0
Eine analoge Mattsetzung auf der Grundreihe strebte auch der Schwarzspieler in der folgenden Partie an und er hatte
damit schließlich auch Erfolg, es hätte jedoch auch anders ausgehen können.
Nimzowitschindisch E 47
E. Eliskases - W. Henneberger
Bad Liebwerda 1934
Ist gegen …Th1 matt nichts mehr auszurichten? Doch! 26. Ld5+ Weiß befreit sich in zwei Fällen:
a) 26. …Kf8 27. Tf4+!, sogar mit Gewinn nach dem folgenden Turmabtausch auf f1 oder der Mattsetzung nach 27. …exf4 28. Dh8 matt.
b) 26. …Kg7 27. Dxe5+ Dxe5 28. Lxe5+ Kh6 (28. …Kf8 29. Tf4+ mit Turmabtausch) 29. Th4+ Kg5 30. Lf4+ Kf6 31. Kh3 g5
(31. …h5 32. g4) 32. Th6+ Kg7 33. Td6 gxf4 34. exf4, und Weiß hat genug für die Qualität.
Der Schwarzspieler war jedoch voll und ganz auf die Idee …Th1 matt fixiert und bot mit 26. …Df7! seine Dame zum
Schlagen an.
Wer so einen Zug findet, verdient es doch irgendwie, die Partie zu gewinnen, meinen Sie nicht auch? Auf jeden Fall
geschah hier 27. Lxf7+? Kf8! und nun war gegen die Mattsetzung durch die verdoppelten Türme nichts mehr zu
erfinden – 0:1
Der lieben Ordnung halber sei erwähnt, dass sich Weiß in der letzten Diagrammstellung sehenswert hätte retten können:
27. Txg6+!! Kf8 (Aber nicht 27. …hxg6 28. Lxf7+ nebst Befreiung mittels g4 und Kg3; hier gewinnt Weiß sogar noch.)
28. g4 Dxg6 29. Dxe5 Dxg4
Es droht erneut …Th1 matt, aber Weiß kann sich mit dem Dauerschach 30. Db8+ Ke7 31. Dc7+ Dd7 32. De5+ Kd8 33. Db8+
Dc8 34. Dd6+ aus der Affäre ziehen.
Ein schöner Sonderfall, in den meisten Fällen jedoch ist gegen die Kraft der verdoppelten Türme kein Kraut gewachsen.
Eine Turmverdopplung muss nicht immer einem Angriffszweck dienen, sie ist auch ein vorzügliches Verteidigungsmittel:
M. Tschigorin – D. Janowski
Karlsbad 1907
Schwarz am Zug
Wenn Weiß noch zu Kc5 und d5-d6 käme, könnte er durchatmen. Mit 53. …Tc1+ 54. Kd3 Tcc6! erreicht Schwarz eine
besonders anschauliche Stellung. Die auf der sechsten Reihe verdoppelten Türme gleichen einem Burggraben, der nicht
überquert werden kann. Schwarz hat nun alle Zeit der Welt, um mit Unterstützung seines Königs seinen Freibauern
langsam voranzubringen. Er gewann schließlich nach gut 40 Zügen – 0:1
Auch das letzte Beispiel zeigt die Kraft auf der Grundreihe verdoppelter Türme.
A. Aljechin – R. Molina
Buenos Aires 1926
(Uhren-Handicap-Vorstellung)
Schwarz hat mit seinem letzten Zug (…Sd3xb2) einen Bauern gewonnen; die Dame a4 hängt ja, so dass 25. Txd7 Txd7! für
ihn nicht gut geht. Er unterschätzte aber die Macht der weißen Türme: 25. Dxa7!! Txa7 26. Txd8+ Lf8 27. Lxc5 h6 28.
Txf8+ Kh7 29. Tdd8 Schon wieder stehen die Türme auf der Grundreihe. Zwar verschafft sich Schwarz mit dem
Zwischenschach 29. …Db1+ etwas Zeit, aber nicht lange. 30. Kh2
Es droht die Blockade des Fluchtwegs g6 mit Se5 oder Sh4 und der Turm a7 hängt. Beide Drohungen sind nicht
gleichzeitig zu beheben. Weiß gewinnt folglich, in der Partie auf diese Art: 30. …Tb7 31. Sh4! Kontrolliert g6 und
droht Th8 matt. Auf 31. …g5 folgt 32. Th8+ Kg7 33. Tdg8+ Kf6 34. Txh6+ Ke5 35. Te8+ Kf4 36. g3 matt.
31. …g6 32. Ld4 f6 33. Lxf6 und Matt auf h8. – 1:0
Türme können sich nicht nur auf den Reihen, sondern auch den Linien verdoppeln. Das ist aber schon das Thema einer
anderen Folge dieser Rubrik.
Schachschule 64 als PDF
Teil 60 der Schachschule 64 kann
hier
als PDF-Datei heruntergeladen werden. Die Printausgabe unterscheidet sich etwas von der Online-Version, bei der das
eine oder andere Diagramm und hin und wieder weiterer erklärender Text die jeweilige Folge ergänzen.
Zu der nachstehend abgebildeten Stellung kam es am im Januar beim Open in Gibraltar zwischen zwei Spielern der
Weltklasse. Weiß hat einen Bauern mehr, kann aber die Punkteteilung – zu der es mehrere Wege gibt – nicht verhindern:
Jahrgangsschuber
Der Preis pro Stück für 12 Ausgaben – inklusive Porto und Schutz-Verpackung beträgt € 14,90 Bestellungen bitte unter Tel.: (0421) 36 90 325