Fang mich, wenn du kannst!
Figuren gegen Freibauern
Der Titel des 2003 von Steven Spielberg gedrehten Films "Catch me if you can" stand Pate bei der Wahl einer
eingängigen Überschrift für diesen Artikel, der den Blick für spezielle Situationen in Endspielen schärfen will, in
denen es auf den ersten Blick scheinbar keine Lösung gibt.
Dabei ist der "Flüchtende" stets der Freibauer. Im Gegensatz zu dem besagten Film, in dem der Gejagte im Erfolgsfalle
nur die eigene Haut oder Freiheit rettet, wird ein entkommener Freibauer zur Dame umgewandelt und wendet sich dann
mit Macht gegen seine Verfolger.
Schwerfiguren können einen enteilenden Freibauern ziemlich einfach stoppen, wenn sie sich auf der gleichen Linie
hinter ihm postieren. So wird zum Beispiel der Turm in der folgenden Stellung mit dem Freibauer-Duo leicht fertig:
Weiß am Zug gewinnt
Im Kampf gegen zwei verbundene Freibauern muss der Turm stets den weiter vorgerückten Bauern
aufs Korn nehmen.
Ein fürchterlicher Fehler wäre 1. Td5??, denn dann würden die schwarzen Bauern entscheiden: 1. …c2 2. Tc5 d3 3. Kg3
d2! 4. Txc2 d1D.
Der richtige Zug 1. Tc5! nimmt den vorn stehenden Bauern an die kurze Leine, dies ist eine Faustregel für das Spiel
von Turm gegen zwei verbundene Freibauern. Weiß gewinnt dann leicht mit der klassischen Abfangmethode 1. …Kg6 2. Tc4!
Kf5 3. Txd4 c2 4. Tc4.
Kämpft der Läufer gegen Freibauern, ist die Lage ebenfalls recht übersichtlich; entweder kontrolliert der Läufer die
entscheidende Diagonale und hat damit Erfolg, oder er tut es nicht.
Weiß am Zug gewinnt
Analog dem zuvor gezeigten Beispiel mit dem Turm, ist es auch in diesem Endspiel mit
Beteiligung des Läufers goldrichtig, den vorn liegenden gegnerischen Bauern anzupeilen.
Auch hier wäre es verfehlt, den "hinteren" Bauern anzugreifen, nach 1. Lc5?? mit der Absicht …c2?? 2. Le3 b3 3. Lc1,
bricht das Bauernduo durch: 1. …b3! nebst …b2. Den Sieg bringt 1. Ld4! ein, z.B. 1. …Kg6 1. …c2 2. Lb2 2. Kg3 Kf5 3.
Kf3, und die Bauern werden unschädlich gemacht.
Sind gerade (auf den Reihen, Linien oder Diagonalen) ziehende Figuren wie Dame, Turm und Läufer beteiligt, ist die
Lage recht übersichtlich. Am schwierigsten (und faszinierendsten) sind die Endspiele mit Springer gegen Freibauer(n).
Der langsame, "kurzbeinige" Springer hechelt manchmal vergeblich hinter einem weglaufenden Freibauern hinterher, aber
seine besondere Eigenschaft - der Wechsel der Felderfarbe nach jedem Zug - ermöglicht, oft unter Einbeziehung eines
Schachgebots, raffinierte Rettungen. Nicht von ungefähr finden gerade diese Endspiele im Schaffen der
Problemkomponisten einen gebührenden Platz.
Studie N. Grigorjew, 1934
Weiß am Zug remisiert
Der König kann zwei so weit auseinander stehende Bauern nicht aufhalten. Hier hilft nur
eine Rundreise des Springers.
Wäre da nicht der weiße Springer, so wäre der weiße König außerstande, die vorrückenden Freibauern aufzuhalten, eilt
er zum b-Bauern, läuft ihm der h-Bauer weg, und geht er zum h-Bauern, flitzt der b-Bauer vorbei.
Nun ist aber der Springer da, der jedoch im Moment kein freies Feld zur Verfügung hat, mit zwei Zügen des Königs
(…Kf7 und …Kg7) kann er gefangen werden. Weiß hat also keine Zeit zu verlieren und muss gleich auf den
nächsterreichbaren gegnerischen Bauern losgehen: 1. Kd3! Kf7 zöge der h-Bauer, …h4, erhielte der Springer das Feld g5
2. Kc4
Weiß remisiert nun ganz einfach im Falle von 2. …Kg7 3. Kxb4 Kxh7 4. Kc3, denn sein König erreicht ungehindert
in vier Zügen die rettende g-Linie, z. B. 4. …Kg6 (oder 4. …h5 5. Kd2 h4 6. Ke2 h3 7. Kf2 remis.) 5. Kd3 Kg5 6. Ke3
Kg4 7. Kf2 Kh3 8. Kg1, und der weiße König nistet sich auf h1 ein, er kann dort nicht mattgesetzt, höchstens
pattgesetzt werden.
Doch so einfach ist die Studie nicht. Schwarz kann raffinierter spielen, nämlich 2. …Kg6 mit dem Trick 3. Kxb4 h5!,
und nun nimmt er nicht den angebotenen Springer, sondern lässt den h-Bauern laufen und dies gewinnt, sehen Sie
selbst: 4. Kc3 (Nichts ändert 4. Sf8+ Kf5) 4. …h4 5. Kd2 h3, und der weiße König kommt zu spät.
Weiß behält also besser seinen Springer und zieht 3. Sf8+ Kf5 Den Springer anzugreifen, lohnt nicht, nach 3. …Kg7 4.
Se6+ Kf7 5. Sd4 können beide schwarzen Bauern leicht abgefangen werden.
„Fang mich, wenn du kannst“, scheint der h-Bauer zu sagen. Er ist ja nur noch fünf Züge vom
Schlüsselfeld h1 entfernt, der gegnerische König muss den Bauern b4 bewachen und kann sich folglich nicht auf den Weg
dorthin machen. Es bleibt nur der Springer, aber dieser muss eine richtige Rundreise hinter sich bringen, das reicht
doch nicht, oder? Doch, es reicht, weil in einem passenden Augenblick ein Schachgebot ein Tempo gewinnt.
Die Rundreise mit dem Ziel h1 (das Umwandlungsfeld des h-Bauern) beginnt mit 4. Sd7 h5 5. Sc5 h4
Der direkte Weg zu dem Bauern führt zu einer Niederlage: 6. Sd3? h3 7. Sf2 h2 8. Kxb4 Kf4
9. Kc3 Kf3 10. Sh1 Kg2 usw.
Das Rettungsmotiv ist mit einer Springergabel verbunden. Welche Springergabel denn? Die auf g3; dann nämlich, wenn
der h-Bauer durchläuft und auf h1 in eine Dame umgewandelt wird. Sehr schön, wie kommt man dazu, mit dem Springer auf
g3 zu landen? Folgendermaßen: 6. Sb3! h3 7. Sd2 Die Originalstudie schließt mit 7. …h2 8. Sf1 (mit Angriff auf den
Bauern) 8. …h1D 9. Sg3+ - die besagte Gabel und remis.
Wir schauen uns aus guten Gründen eine Alternative an: 7. …Kf4 8. Sf1 Kf3 9. Kxb4
In dieser Stellung wechseln sich zwei Bilder ab: der Springer gibt entweder Schach oder
zieht so, dass er das Feld h2 kontrolliert.
Prägen Sie sich diese Stellung unbedingt ein; es wird die Zeit kommen, dass Sie so eine Konstellation in einer
praktischen Partie aufs Brett bekommen. Nur das Prinzip einprägen, der Rest läuft von alleine. 9. …Kf2 10. Sh2 Kg3
11. Sf1+ Kg2 12. Se3+ Kf2 13. Sg4+ Kf3 14. Sh2+ usw. bis zum Sankt Nimmerleinstag – remis
Wie man sieht, kann ein Springer mit Hilfe der Schachgebote manchmal schneller heranbrausen, als man dieser
sprichwörtlich "kurzbeinigen" Figur zumuten würde. Hierzu ein praktisches Beispiel aus dem Schaffen des berühmten
Robert James (genannt "Bobby") Fischer:
R. Fischer – E. Eliskases
Buenos Aires 1960
Weiß am Zug
Der Bauer c2 erscheint gefährlich, aber der spätere Weltmeister konnte ihn mit einem typischen Springermanöver
abfangen: 1. Sh5 Mit der Hauptidee 1. …c2 2. Sf4 (um im Falle von …c1D auf d3 zu "gabeln") 2. …Kc3 3. Se2+ Kd2 (Nach
…Kd3 entscheidet der "Rundlauf" 4. Sc1+ Kd2 5. Sa2) 4. Sd4!, gefolgt vom Schlagen auf c2 oder der Springergabel nach
4. …c1D 5. Sb3+.
In der Partie geschah 1. …Kxa4 2. Sf4 b5 3. Se2 c2 Oder …b4 4. Kc4 c2 5. Sc1 Ka3 6. Sb3, und Weiß gewinnt mit h4
nebst g5. 4. Sc1 Ka3 5. Kc5 Kb2 6. Se2 c1D+ 7. Sxc1 Kxc1 8. Kxb5 nebst h4, g5 usw. 1:0
Auf dem letzten Beispiel klebt bildlich gesprochen ein Warnschild mit dem Hinweis: "Nur nicht trödeln!"
D. Bronstein – M. Botwinnik
Weltmeisterschaft 1951
Weiß am Zug
Die Partie ist remis, aber Weiß verlor im Handumdrehen. Das Opfer der Fehlkalkulation war ein sonst sehr renommierter
Schachprofi, die Partie wurde bei einer Schachweltmeisterschaft gespielt. Aber auch große Spieler haben nun einmal
vereinzelt ihre schwachen Momente …
Doch es geschah 1. Kc2?? mit der Absicht …Kf3 2. Sf7 e2 3. Se5+ Kf2 4. Sd3+ remis, doch sein Gegner verblüffte ihn
mit 1. …Kg3!! Der König zieht so, dass der gegnerische Springer in den nächsten beiden Zügen kein Schach hat, es
droht also …e2-e1D, und nach 2. Se6 e2 3. Kd2 Kf2 gibt Schwarz nach der Bauernumwandlung in eine Dame gleich ein
Schach. 0:1
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Teil 37 der Schachschule 64 kann
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als PDF-Datei heruntergeladen werden. Die Printausgabe unterscheidet sich etwas von der Online-Version, bei der das
eine oder andere Diagramm und hin und wieder weiterer erklärende Text die jeweilige Folge ergänzen.
Zu der nachstehend abgebildeten Stellung kam es am im Januar beim Open in Gibraltar zwischen zwei Spielern der
Weltklasse. Weiß hat einen Bauern mehr, kann aber die Punkteteilung – zu der es mehrere Wege gibt – nicht verhindern:
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