Wildes Angriffsschach zur Ehrung eines genialen Verteidigers
Foto: Annette Borik
50. UdSSR-Meisterschaft 1983 in Moskau: Tigran Petrosjan (r.) im Gespräch mit Juri Rasuwajew.
Der neunte Schachweltmeister Tigran Petrosjan (1929 - 1984) war der Inbegriff des Verteidigungskünstlers. Niemand
sonst musste so selten eine Niederlage hinnehmen, weswegen er von der Presse seines Heimatlandes als "bester Torwart
Armeniens" apostrophiert wurde. Manch anderem gefiel das Bonmot "Petrosjan sieht auf dem Brett immer 64 schwache
Felder" noch besser.
Anlässlich des 30. Todestags von Petrosjan wurde in Moskau ein Gedenkturnier zu seinen Ehren ausgetragen. Die acht
handverlesenen Spitzenspieler waren extrem kämpferisch eingestellt und produzierten mehrere hinreißende taktische
Duelle. Schon bald kursierte die Anekdote, die Teilnehmer hätten die Einladung nicht richtig gelesen, wähnten sich
beim Michail-Tal-Memorial und wollten auf diese Weise den genialen Taktiker ehren! Die besondere Pointe: ursprünglich
war für diese Zeit tatsächlich das Tal-Gedenkturnier geplant, dieses wurde aber auf 2016 - anlässlich Tals 80.
Geburtstag - verschoben.
Das Turnier, von dem nun die Rede sein wird, fand in Moskau statt, obwohl Petrosjan Armenier war und deshalb Jerewan
als Austragungsort gut gepasst hätte. Aber auch Moskau passt, denn dort holte Petrosjan 1963 den WM-Titel, ebendort
konnte er ihn 1966 erfolgreich verteidigen und dort verlebte er seine letzten Jahren bis zu seinem frühen Tod an
einer Krebserkrankung.
[…]
Die beiden Erstplatzierten des Turniers blieben - so wie weiland Petrosjan - ungeschlagen, fielen aber eher durch
ihre Angriffslust auf, insbesondere Alexander Grischuk, der mit seinem famosen Sieg (Turnierleistung über 3000
Elo-Punkte!) gleichzeitig die 2800er Grenze überschritt und damit Topalov als die (nach Carlsen und Caruana) Nummer 3
der Weltrangliste ablöste.
Vor allem ältere Leser erinnern sich: in den 80er Jahren spielten Kasparow und Karpow ihre schier endlosen
Weltmeisterschaften und dabei kam das Damengambit mit den Zügen …e6 und …b6 in sage und schreibe 27 Partien aufs
Brett, 24 davon endeten remis. Unternehmungslustige Spieler versuchen die "remisverseuchten" Hauptvarianten (8. cxd5,
8. Ld3, 8. Le2) zu vermeiden. Grischuk wartete mit einer kleinen Überraschung auf: 8. g4!? Dies ist keine Neuerung,
wird aber sehr selten gespielt. Bei der Schacholympiade Dresden 2008 hatte der Däne Peter Heine Nielsen damit Erfolg,
als sein bulgarischer Gegner Georgiev etwas "kooperativ" 8. …dxc4 9. Lxf6 Lxf6 10. h4 Lb7 11. g5! zuließ. Es folgte
11. …hxg5 12. hxg5 Lxg5 13. Lxc4 c5 14. d5 Lh6 15. Ke2 b5 16. Txh6! gxh6 17. Dh1 Kh7 18. Se4 Tg8 19. Dh5 Tg6 20.
Sfg5+ Txg5 21. Dxf7+ Tg7 22. Df4 bxc4 23. Th1 Lxd5 24. Dxh6+ Kg8 25. Dh8+ Kf7 26. Dxd8 Lxe4 27. Th8 Sc6 28. Tf8+ Kg6
29. Df6+ Kh7 30. Dh4+ - 1:0.
Leko wählt eine elementare Lösung: das Bauernopfer annehmen und schauen, ob die Kompensation ausreicht. 8. …Sxg4!?
9.Lxe7 Dxe7 10. cxd5 exd5 11. Sxd5 Dd6 12. Sc3 c5 13. Tg1 Sf6 Der Bauernraub 13. …Sxh2? kostet nach 14. Sb5 Sxf3+ 15.
Dxf3 Dc6 16. d5 De8 17. Df6 g6 18. Sc7 viel Material. 14. Lg2 Lg4 15. Dd2 Sbd7 16. Se5 Da mit diesem Zug auch der
Turm a8 angegriffen ist, erwartete das Publikum 16. …Tad8, aber Leko setzt auf das Qualitätsopfer 16. …Sxe5!? 17.
dxe5 Dxe5 18. Lxa8 Txa8 19. Tg3
Da der Turm a1 momentan nicht mitspielt, erscheint die schwarze Kompensation plausibel. Wenn Weiß jedoch schnell zu
f2-f3, gefolgt von Kf2 und Tag1 kommt, sieht die Sache duster für Schwarz aus. Deshalb war hier 19. …Df5!?
erwägenswert.
Weiter geht es im Dezember-Heft.
Auszug aus
"Wildes Angriffsschach zu Ehren eines genialen Verteidigers | Petrosjan-Memorial: Alexander Grischuks famoser Sieg"
erschienen in
Zu der nachstehend abgebildeten Stellung kam es am im Januar beim Open in Gibraltar zwischen zwei Spielern der
Weltklasse. Weiß hat einen Bauern mehr, kann aber die Punkteteilung – zu der es mehrere Wege gibt – nicht verhindern:
Jahrgangsschuber
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