Schach Magazin
Ausgabe 5 mit diesen zentralen Themen ::

Die Entscheidung fiel auf der Zielgeraden




Foto: Otto Borik

Der neue Europameister Dimitri Olegowitsch Jakowenko. Der Russe aus der westsibirischen Stadt Nischnewartowsk (in der Nähe des weithin bekannten Olympiaaustragungsorts Chanty-Mansijsk) begann im Alter von drei Jahren mit dem Schachtraining, so früh, wie kein anderer, später weltweit bekannt gewordener Schachspieler.


Wie sich die Bilder gleichen. Analog der Frauen-EM (vgl. letzte Ausgabe) wurde auch die drei Wochen später folgende offene Europameisterschaft durch den Sturz des Spitzenreiters in der letzten Runde entschieden. Der Franzose Laurent Fressinet spielte bis zur 10. Runde das Turnier seines Lebens und führte vor der Schlussrunde mit einem halben Punkt Vorsprung vor neun punktgleichen Verfolgern. Acht Spieler aus dieser Neunergruppe hatten den Preistopf fest im Blick, riskierten nichts, remisierten (meist untereinander) und sicherten sich das Preisgeld. Nur einer kämpfte mit vollem Einsatz, der Russe Dimitri Jakowenko (28). Er bezwang Fressinet in einer großartigen Partie (siehe weiter im Text) und wurde reichlich belohnt. Einerseits mit eher ideellen Werten (Pokal des Europameisters, Rückkehr in die russische Olympiamannschaft), andererseits auch pekuniär, denn er musste den ersten Preis in Höhe von 14 000 Euro mit niemandem teilen, außer mit dem bulgarischen Finanzamt, das ihm 10% abknöpfte. Silber ging an Fressinet, Bronze sicherte sich durch die zweitbeste Wertung der Russe Wladimir Malachow.

Die EM wurde vom 19. März bis zum 1. April in der zweitgrößten bulgarischen Stadt Plovdiv ausgetragen. Es handelte sich um eine offene Meisterschaft, ohne jegliche Qualifikationsvorbedingung, sprich jeder Schachspieler, der einer europäischen Schachföderation angehörte (und das Startgeld bezahlte), durfte teilnehmen, ungeachtet der Spielstärke. Als diese Regelung seinerzeit eingeführt wurde befürchteten die EM-Organisatoren, das Turnier würde von Amateuren überrannt werden, und die Veranstaltung aus allen Nähten platzen. Aber es kam anders, damals wie heute. Wie schon in den Vorjahren gehört nur etwa die Hälfte der Teilnehmer der sogenannten Amateurklasse an, womit "normal" Berufstätige gemeint sind, die andere Hälfte sind Berufsspieler. Dies ist natürlich nur eine grobe Aufteilung mit fließenden Grenzen.

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Diese und andere so unterschiedlichen Teilnehmer waren alle von den Regeländerungen betroffen, die die Europäische Schachunion keineswegs einhellig, aber doch mehrheitlich beschlossen hat. Darunter gibt es nachvollziehbare Regeländerungen (z. B. die Reihenfolge der Punktgleichen wird stets nach erzielter Turnierleistung in Elopunkten ermittelt), aber auch drei Regeln, bei denen die Meinungen stark auseinander gehen: die Bekleidungsordnung (engl. Dress Code), die Sofia-Regel (kein Remis durch Vereinbarung vor dem 40. Zug) und die Null-Toleranz-Regel (wer zur Runde zu spät am Brett erscheint - und wenn es nur eine Sekunde ist - wird genullt).

[…]



Soweit die besten Partien der beiden herausragenden Spieler dieser Meisterschaft. Von den 12 punktgleichen Spielern auf den Plätzen 3 bis 14 war Maxim Matlakow der jüngste. Der 19-jährige Russe, dessen ausgezeichnete Partie im Mittelpunkt der letzten Folge von "Test&Training" stand, überzeugte mit kraftvollem, positionellem Spiel.

Damengambit D 35
M. Matlakow (RUS, 2632)
F. Berkes (HUN, 2682)


1. d4 d5 2. c4 e6 3. Sc3 Le7 4. cxd5 exd5 5. Lf4 Sf6 6. e3 Lf5 Dies ist heutzutage eine ziemlich populäre Variante. Kürzlich sahen wir den Deutschen Meister 2012 Daniel Fridman in Aktion, in seiner sehenswerten Partie (letzte Ausgabe, Seite 10:11) kam das wilde 6. …Lf5 7. Db3 Sc6 8. g4 aufs Brett. In der vorliegenden Partie agiert Matlakow in rein positioneller Manier: 7. Sge2 0-0 8. Tc1 c6 9. Sg3 Soweit auch ein Prominenten-Duell aus der WM 1987. In einer Partie zwischen Kasparow und Karpow zog Letzterer den Läufer nach e6 zurück. In der vorliegenden Partie behielt Schwarz den Läufer auf der Diagonale b1-h7. 9. …Lg6 10. h4 h6 11. h5 Lh7 12. Ld3 Auch das ist schon mal da gewesen, mit der Folge 12. …Lxd3 13. Dxd3 Ld6 14. Lxd6 Dxd6 15. Sf5 De6. In dieser Partie kommt es ähnlich, nur stellt Schwarz seine Dame nach f6. 12. …Ld6 13. Lxh7+ Sxh7? Nach dem besseren 13. …Kxh7 14. Lxd6 Dxd6 15. Dd3+ Kg8 16. Sf5 De6 wäre die zuvor erwähnte Stellung entstanden. Das Schlagen mit dem Springer hat einen Nachteil, den zu entlarven alles andere als leicht ist. 14. Lxd6 Dxd6 15. Sf5 Df6 16. Dg4!



Tja, was nun? Ein nahe liegender Zug wie 16. …Sd7 verliert nach 17. Sxh6+ Dxh6 18. Dxd7 einen Bauern. 16. …Dg5 bringt keine Entlastung, nach 17. Df3 Sd7 18. Th3 Df6 19. Tg3 Sg5 20. Dg4 steht die Dame schon wieder auf g4, diesmal aber auch noch von dem Turm unterstützt, es droht Sxg7 nebst f4. In der Partie geschah 16. …Sg5 17. f4 Se6 18. Td1 deckt d4 und droht e3-e4 18. …Te8 19. 0-0 Die Drohung e3-e4 wird immer stärker, z. B. 19. …Sd7? 20. e4 Dd8 (20. …dxe4 21. Sxe4 Dd8 22. Sxh6+ Kf8 23. f5! mit Gewinn.) 21. e5 Kh7 22. Sd6, und Weiß sollte gewinnen. Schwarz spielte noch 19. …Sc7 um das Feld e4 mit dem Turm e8 zu kontrollieren, konnte aber dem steigenden Druck nichts entgegensetzen: 20. Tf3 Kh7 21. Tg3 g6 21. …Tg8 22. e4! 22. hxg6+ fxg6 23. Sh4 Tg8 24. f5! g5 25. e4! dxe4 26. Sxe4 Dd8 27. Sg6 Sd5 28. Th3 Sf4 29. Sxf4 gxf4 30. Dxf4 – 1:0

 
Auszug aus
"Die Entscheidung fiel auf der Zielgeraden | Spannende Schlussrunde bei der Europameisterschaft | Jakowenko besiegt den Spitzenreiter Fressinet und holt sich den Titel"
erschienen in

SCHACH MAGAZIN 64, Mai 2012

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  Remisschluss einmal anders

Zu der nachstehend abgebildeten Stellung kam es am im Januar beim Open in Gibraltar zwischen zwei Spielern der Weltklasse. Weiß hat einen Bauern mehr, kann aber die Punkteteilung – zu der es mehrere Wege gibt – nicht verhindern:

 

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