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Archiv 2008 ::
Baku![]() Foto: Tara McGowran Vugar Gashimov … andere wiederum auf die Topten-Spieler Mamedyarov und Radjabov, und auch dem Weltcupsieger Kamsky trauten manche den Coup zu. Doch schließlich setzten sich die zwei Spieler durch, die in der Setzliste den letzten (!) und den drittletzten Platz einnahmen: Vugar Gashimov und Wang Yue. Allein der Norweger Carlsen konnte mitziehen, nach Wertung wurde er Dritter, aber immerhin punktgleich mit den beiden erwähnten Helden. Am Ende stand dieses Trio auf dem Siegertreppchen. Der überdimensionale Scheck, den sie dabei in den Händen hielten, war natürlich eine Attrappe und ein Teil der Show, doch die Angaben entsprachen der Wahrheit. Den Betrag – der nicht wie sonst üblich in US-Dollar, sondern in dem, auch am Kaukasus geschätzten starken Euro angegeben wurde – teilten sich die drei Sieger zu gleichen Teilen (24 167 Euro für jeden), ebenso wie die Grand-Prix-Punkte. Zur Erinnerung: bis Ende der Serie im Dezember 2009 werden noch fünf weitere, gleich dotierte Grand-Prix-Turniere ausgetragen. Am Ende werden die Punkte für die Platzierung addiert und weitere Geldpreise vergeben, zusätzlich erhält der Grand-Prix-Gesamtsieger ein Match gegen den Sieger des Weltcups, in dem der nächste WM-Herausforderer ermittelt wird. Doch noch sind wir bei dem GP1, wie das erste Turnier kurz bezeichnet wurde. Die Ausrichter, die aserbaidschanische Schachföderation, hatte das Turnier etwas umfunktioniert und es dem nicht erlebten 85. Geburtstag von Heydar Aliev gewidmet. Dieser Name dürfte manchem Leser eher in der etwas anderen (russischen) Schreibweise, als Geidar Alijew, bekannt sein. Dieser Mann war in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts ein einflussreiches Mitglied des sowjetischen Politbüros und hielt seine schützende Hand über Kasparow, als dieser mit seinem Sturm auf die Weltmeisterschaft begann und dabei dem linientreuen Weltmeister Karpow bzw. dessen Unterstützer in die Quere kam. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde Aliev Staatschef des wieder unabhängigen Aserbaidschan, und zugleich der Vater des dortigen Schachbooms. Der Präsident zeigte sich oft mit führenden Schachspielern, zeichnete sie aus, übernahm Schirmherrschaften, und das nicht so, wie wir es meist kennen (dass ein Pressereferent im Auftrag ein Grußwort schreibt), sondern mit allem drum und dran, sprich er besorgte auch finanzielle Mittel, und er unterstützte Förderprogramme. Nach dem Tode Heydars (2003) übernahm sein Sohn Ilham Aliev die Staatsführung und auch die Schachförderung, nicht ganz so engagiert wie sein Vater, aber wie es in Ländern dieses Kulturkreises Tradition ist, wird das, wofür sich der Patriarch engagierte, nicht so schnell abgeschafft. Deshalb legte der junge Staatschef auch für das FIDE-GP-Turnier bei seinen Leuten ein Wort ein, und siehe da, wie auf Turnierplakaten dokumentiert, entdeckten viele Banken ihr Herz für das königliche Spiel … Natürlich erhofften sich die Ausrichter, dass ihre Landsleute in dem Turnier möglichst gut abschneiden, was freilich bei der riesenstarken Konkurrenz keine leichte Aufgabe war. Doch am Ende war die Freude über den Sieg des „Underdogs“ Gashimov groß. Der junge Mann aus Baku war von Anfang an in der Spitzengruppe, zusammen mit dem konstant stark spielenden Chinesen Wang Yue und einem der Hauptfavoriten, Alexander Grischuk. Nach 11 Runden führten Grischuk und Wang mit je 7 Punkten das Feld an, einen halben Punkt vor Gashimov. In der 12. Runde kam es dann zum großen Showdown: Spanisch C 72 V. Gashimov – A. Grischuk FIDE Grand Prix (12), Baku 2008 1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 a6 4. La4 d6 5. 0–0 Lg4 6. h3 h5 ![]() Dieses Figurenopfer ist in verschiedenen Versionen (z. B. auch in der spanischen Abtauschvariante 1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 a6 4. Lxc6 dxc6 5. 0-0 Lg4 6. h3 h5) seit vielen Jahren bekannt, ebenso wie die Erkenntnis, dass Weiß auf 7. hxg4 besser verzichtet, den nach …hxg4 muss er den Springer zurückgeben, 8. Se1?? Dh4 9. f4 g3 führt ja zum Matt. Wenn jedoch der Weiße den Springer zurückgibt, so hat er keinen Materialvorteil, sonder nur Ärger auf der h-Linie. Gut, Finger weg von dem Läufer (zumindest vorläufig), aber was soll Weiß spielen? Wird man ohne spezielle Vorbereitung von einer Gambitvariante überrascht, hat sich Zurückhaltung bewährt. Man soll sich bloß nicht auf ein taktisches Handgemenge auf unbekanntem Terrain einlassen, wo der Gegner wohl einen Informationsvorsprung hat, sondern stattdessen mit gesunden Entwicklungszügen reagieren, so z. B. 7. d3. Noch zuverlässiger ist eine Methode, die beispielsweise Dr. Hübner einmal in seiner Partie gegen Jussupow (Schnellschachturnier Garmisch Partenkirchen 1994) anwandte, er nahm erst mit 7. Lxc6+ bxc6 etwas „Saft“ aus der Stellung, entwickelte sich dann mit 8. d3 und nach Jussupows erneutem Opferangebot 8. …Df6 verzichtete er dankend und sicherte durch 9. Sbd2 den Punkt f3. Jussupow attackierte weiter: 9. …g5, Hübner antwortete 10. Sc4, wonach schon die Annahme des Figurenopfers drohte, etwa 10. …Se7? 11. hxg4 hxg4 12. Sxg5 Dh6 13. f4!, und hier ist …g3 wegen 14. Sh3 unwirksam. Also musste Jussupow auf f3 schlagen, nach 10. …Lxf3 11. Dxf3 Dxf3 12. gxf3 war es vorbei mit dem schwarzen Angriff, und Weiß besaß einen geringen Endspielvorteil. Dies war eine gute Demonstration, wie Weiß ein unerwartet präsentiertes Gambit unbeschadet überstehen kann. Allerdings ist der weiße Endspielvorteil nur gering; Jussupow konnte auch remis halten. In Baku war Ga¬shi¬mov gut vorbereitet (Grischuk hatte ja diese Variante bereits mehrmals gespielt) und er ließ sich auf das schärfste Abspiel ein. 7. d4 b5 8. Lb3 Sxd4 9. hxg4 Nach dem sofortigen 9. …hxg4 10. Sg5 droht ein Einschlag auf f7, so dass Schwarz ohnehin am besten auf b3 schlägt. 9. …Sxb3 10. axb3 hxg4 11. Sg5 Aus den Ausführungen zum siebten Zug von Weiß wissen wir bereits, dass der Angriff auf der h-Linie nicht mehr funktioniert, nach …Df6 spielt Weiß stark 12. f4. Deshalb änderten die Schwarzspieler in Vorläuferpartien die Marschroute und setzten mit 11. …Dd7 fort. ![]() Damit wird das Feld e6 unter Kontrolle genommen, damit der weiße Springer nicht dorthin ziehen kann, es droht nun der Springerfang mit …f6. Alles schon da gewesen, wobei die Weißspieler mit 12. c4 fortfuhren. Gashimov kommt nun mit einer Neuerung aus der heimischen Analyseküche. 12. Dd3! Die Feinheit sehen wir nach
![]() Vorsicht, Grischuk ist ein Topten-Mann, der sich nicht so leicht geschlagen gibt und selbst in miserablen Stellungen noch um sich schlägt. Auf 17. Lxe7?! wäre riesenstark 17. …fxg2!! gefolgt: 18. Tf8+ Kxe7 19. Df3! (Nicht 19. Txb8?? Dg4 nebst …Th1+, und es gewinnt Schwarz!) 19. …Sf6! 20. Txf6 gxf6 21. Sd5+ Kd8 22. Dxf6+ Kc8 23. Sb6+! (23. Dxh8+? Kb7 mit Doppelangriff auf h8 und a6) 23. …cxb6 24. Dxh8+ Kc7 (24. …Kb7? 25. Txb6+; 24. …Dd8 25. Dh7) 25. Ta7+ Tb7 26. Ta8 Kc6 27. Dg8 Dh3 28. Dd5+ Kc7 29. Df7+ Kc6, und Weiß muss Dauerschach geben, sonst verliert er noch nach dem folgenden …Dh1+. Sehr schön ausgedacht von Grischuk, aber Gashimov konnte die Klippe umschiffen: 17. Dxf3! Sf6 18. Sd5 Sxd5 Die Stellung nach …0–0 19. Lxf6 Lxf6 20. Ta7 ist für Schwarz beileibe nicht verlockend. 19. Df7+ Kd8 20. Dxg7 Falls nun …Te8, so einfach exd5 mit einem Mehrbauern und klar besseren Chancen für Weiß. Grischuk versuchte stattdessen im Trüben zu fischen. 20. …Kc8 21. Dxh8+ Kb7 ![]() Dies ist eine Stellung zum Kaffeeholen und zum anschließenden Figurennachzählen. Weiß hat die Qualität mehr und greift auch noch den Springer an, dafür hängen bei ihm die Figuren auf h8, a6 und g5. Am wertvollsten ist die Dame, sie muss wegziehen, wohin? Zunächst fällt 22. Dg7 ins Auge, aber das geht nicht gut, Schwarz antwortet 22. …Dg4!, und plötzlich wird das Spiel wirr. Nach 23. exd5 folgt …Dd4+ 24. Tf2 (24. Kh2? Lxg5 25. Dxg5 Th8+ 26. Kg3 Kxa6) 24. …Tf8 (Schwarz kann hier schon mit 24. …Dd1+ 25. Tf1 Dd4+ remisieren) 25. Dxf8 Lxf8 26. Ta5 mit völlig unklarem Spiel. Gashimov fand jedoch den besten Zug, der dem Schwarzen auch diesen letzten Giftzahn zieht: 22. Dh7! Dg4 23. exd5 Dd4+ Die Kombination 23. …Lxg5? 24. Ta7+! ist leicht zu sehen, Weiß gewinnt nach 24. …Kxa7 25. Dxc7+ Tb7 26. Ta1+. 24. Kh1 Lxg5 24. …Kxa6 25. Lxe7 mit einer Figur mehr. 25. Tfa1 Le3 26. Ta7+ Dxa7 27. Txa7+ Lxa7 und der Rest wurde nur wegen Gashimovs Zeitnot gespielt. 28. g4 Tf8 29. g5 Tf2 Hier gewann auch einfach 30. g6, aber Gashimov erspähte trotz verrinnender Sekunden eine hübsche Kombination: 30. De4 Tf1+ 31. Kh2 Tf4 32. Dxf4! exf4 33. c3! und da der g-Bauer ungehindert bis nach g8 läuft 1:0 Damit war die Entscheidung gefallen. Gashimov überflügelte Grischuk und holte Wang ein, der in Runde 12 remisierte. In der Schlussrunde remisierten beide und wurden von Carlsen – der ein starkes 2:0 Finish einlegte – noch eingeholt. Die Wertung ergab die Reihenfolge Gashimov, Wang, Carlsen.
Auszug aus
"Baku: Überraschender Ausgang des ersten Grand-Prix-Turniers – Vugar Gashimov und Wang Yue distanzieren alle Favoriten" erschienen in SCHACH MAGAZIN 64, 6/2008 |
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